Künstlerin Catherine Biocca

"Voyeuristische Perspektiven auf Angst, Gewalt, Tod sind Teil unserer Kultur"

Catherine Biocca "Milky Seas", 2020
(c) The Artist and PSM, Berlin, 2020, Foto: Marjorie Brunet Plaza

Catherine Biocca "Milky Seas", 2020

Schnarchende Häuser und schreiende Hooligans: Die Künstlerin Catherine Biocca interessiert sich für einschüchternde Formen der Kommunikation. Ein Gespräch über Nazis auf Amazon und das Gefühl der Bedrohung im Ausstellungsraum


Catherine Biocca, Ihre Ausstellung "Milky Seas" in der Berliner Galerie PSM wurde bedingt durch den Ausbruch der Covid-19 Pandemie um ein halbes Jahr in den September verschoben. Hat sich der Kontext der Ausstellung dadurch verändert?

Ich habe einige Elemente der Hygiene- und Sicherheitsbranche, wie Schuhüberzieher und Einmal-Handschuhe wieder herausgenommen, weil sie jetzt nur noch als Referenzen zum Virus gelesen werden würden. Für mich erzeugen diese Produkte und Anzieh-Elemente eine körperliche Abgrenzung im Rahmen einer Kommunikation.

Auch "Milky Seas" handelt von Kommunikationsformen. Der Begriff beschreibt ein biochemisches Phänomen, bei dem sich Mikroorganismen im Meer durch ihr Aufeinandertreffen als Masse gegenseitig elektrisch aufladen und so ein schimmerndes Leuchten entstehen lassen. Wie bezieht sich der Titel auf die Ausstellung?

In der Ausstellung geht es um die Umstrukturierung männlicher und einschüchternder Gruppenkommunikation. Interessiert haben mich politische Parolen, Schreie von Hooligans oder von Soldaten, die in den Krieg ziehen. Bei meiner Recherche nach ursprünglichen Gruppenkommunikationsformen aus dem Tierreich bin ich auf "Milky Seas" als archaischste überhaupt gestoßen. Der Begriff wattiert das Thema und ruft nahezu gegensätzliche Empfindungen hervor.

Der Galerieboden ist mit weißem Putzvlies ausgelegt und scheint in der Ausstellung vor allem auf Körperflüssigkeit zu verweisen?

Auf dem Boden steht ein Pappspielhaus – ein Schlafhaus – darin leuchtet eine Diskokugel und über dem Eingang hängt eine Nase. Eine Animation vor dem Häuschen zeigt eine laut schnarchende Nase dabei, wie sie weißen Speichel verliert. Damit scheint der gesamte Boden bedeckt und einige Flaschen mit künstlich hergestelltem Speichel stehen im Raum herum.

Die Ausstellung empfängt Besucher mit lauter, elektronischer Musik und Geschrei, das sich erst einmal kaum zuordnen lässt ...

Es kommt von zwei Skulpturen alter, ungewöhnlich großer Frauen. Sie lachen und schreien laute Hooligan-Parolen. Daneben sind weitere, ältere Frauen, die singend und tanzend im Raum hängen. Obwohl die Liedtexte der Parolen extrem aggressiv sind, nehmen die Omas sie nicht ernst. Irgendwann sind Fußschritte zu hören und ein Mann schreit "Shut up!" Erst danach kehrt Stille ein und das schnarchende Häuschen ist zu hören.

Die tropfende Schnarchnase könnte genauso als Penis mit zwei Hoden gesehen werden. Geht es Ihnen um eine Art Dekonstruktion bedrohlicher Maskulinität?

Ich will eine Erfahrung herstellen, die wir alle empfinden würden, wenn eine Gruppe aggressiver Hooligans oder eine laute Männergruppe an uns vorbei gehen würde, die allein durch ihre Präsenz eine Form der Bedrohung und Angst auslöst. Mich interessiert, was passiert, wenn jemand den Ausstellungsraum betritt und diese laute, gewaltsame Musik gepaart mit weiblichen Schreien hört.

Wie sind Sie auf dieses Thema gestoßen?

Vor einem Jahr habe ich auf Amazon nach Artikeln gesucht, die im weitesten Sinne mit deutschem Patriotismus zu tun haben. Man findet dort "dekorative" Gegenstände, die ganz deutlich auf Nazi-Symbolik verweisen. Wirklich schockiert haben mich aber nicht die Objekte, sondern die unzensierten Kommentare der Nutzer. Ganz offen wurde dort besprochen, was die historischen "Must-Haves" des Vaterlands seien. Weder Amazon selbst noch andere Nutzer haben kritische Gegenkommentare verfasst. Das zeigt, wie unsere alltäglichen Kommunikationsstrukturen eine Aggressivität zulassen, die permanent auf unsere Empfindungen einwirkt, selbst ohne direkt an uns gerichtet zu sein.

So wie bei den älteren Hooligan Frauen in "Milky Seas" paaren Sie in vielen Arbeiten Gegensätze und verbinden verstörende mit harmlosen, aggressive mit lustigen Elementen: Frauengeschrei und Heavy Metal mit einem Kindercartoon – fröhliches Summen mit einer blutigen OP.  Worin liegt die Motivation, diese unangenehmen Bilder und Töne offen zu wollen?

Das Auseinanderschneiden der Bild- und Tonfragmente ist auch gleichzeitig eine spielerische Auseinandersetzung mit Dingen, die mir persönlich Angst machen. Es ist eine Offenlegung und Umdeutung von Ängsten um meine eigene Sicherheit, die ich als Erfahrung für Ausstellungsbesucher in einen völlig anderen Kontext umgestalte.

Durch die collagenartige Freilegung angsteinflößender Eindrücke wird in den inszenierten Situationen offenbar, dass wir ihnen in den Massenmedien permanent ausgesetzt sind. Ist das der Grund warum Sie fast ausschließlich mit gefundenem Material arbeiten?

Ich produziere nur eigene Objekte oder Animationen, wenn ich es für wirklich notwendig halte. Mich interessiert das Verhältnis von Produkten, Bedürfnissen und Nutzern. Sobald Produkte in Gebrauch sind, werden sie Teil der Normalität. Nimmt man Produkte aus ihrem Kontext heraus– wie zum Beispiel eine gewaltvolle Szene aus einer Unterhaltungsserie – erscheinen sie plötzlich seltsam und absurd. Die voyeuristischen Perspektiven auf Angst, Gewalt und Tod sind schon so lange Teil unserer Kultur – vermutlich, weil sie eine Art biologische Schutzmechanismus in uns auslösen. Wir scheinen uns vergewissern zu wollen, dass wir nicht wirklich Teil von ihnen sind.