Neuer Chanel-Designer Matthieu Blazy

Der Zauber ist zurück

Nach Wochen voller modischer Müdigkeit schafft es ausgerechnet Chanel, die Fashion-Welt zu berühren. Matthieu Blazy inszenierte sein Debüt als poetische Wiedergeburt des Hauses – und erinnerte daran, warum Mode überhaupt bewegt

Chanel ist so was von zurück! Mode, die Emotionen weckt und tragbarer Poesie gleicht, war in diesem Modemonat selten zu sehen. Eine spürbare fashion fatigue zog sich durch die Saison – trotz gleich 15 Debüts neuer Kreativdirektoren bei großen Modehäusern. Doch dann, am Montagabend im Grand Palais in Paris, flossen Tränen. Man spürte Hoffnung, Begeisterung – und endlich wieder Sinn in dem, was zwischen der Planeten-Kulisse gezeigt wurde. Das mag dramatisch oder gar kitschig klingen. Aber genau dieses Gefühl ist es, das so viele in diesem verrückten und nicht selten ausbeuterischen Modesystem hält. Nach vier Wochen, in denen man sich zunehmend fragte "Was soll das alles?", gab es plötzlich eine Antwort.

Matthieu Blazy erschuf nicht weniger als eine neue Galaxie für Chanel. Das große Doppel-C gilt als unangefochtene Spitze der Luxusmodehäuser, die Position des Kreativdirektors als vielleicht begehrenswertester Job der Branche. Als erst vierter in 115 Jahren Firmengeschichte wurde der 41-jährige Belgier auserkoren, dieses kaum zu fassende Erbe fortzuführen. Nach Gabrielle "Coco" Chanel selbst übernahm Karl Lagerfeld das Haus: Sie revolutionierte die Damenmode, machte Jersey salonfähig, erfand das Tweedkostüm und das "kleine Schwarze". Er führte Chanel an die Spitze, machte es popkulturell relevant und ließ es zugleich Chanel bleiben – während er es dem Zeitgeist anpasste. Shows wurden unter Lagerfeld zu einem kulturellen Ereignis – eine der vielen Referenzen, die Blazy aufgriff und neu interpretierte.

Blazy spricht fließend Chanel

Als eine "imaginäre Konversation" mit Gabrielle Chanel beschrieb Blazy seine Kollektion. Er entwarf 77 Looks mit dem Gedanken, es könnte zugleich seine letzte Arbeit für das Haus sein – und gab entsprechend alles. Was diese Schau zu einem solchen Erfolg machte, ist vor allem eines: Blazy weiß, was Frauen heute tragen wollen. Worin sie sich elegant, aber auch mächtig fühlen, sexy und zugleich geborgen. Nach all den Kollektionen dieser Saison, bei denen man sich fragte, ob Designer Frauen möglicherweise hassen, war das eine wohltuende Ausnahme. Blazy entwirft für Frauen – und nicht für eine idealisierte Vorstellung von ihnen.

Das Durchdachte, die hohe Qualität, der Fokus auf Materialien und Texturen, der Intellekt, der aus dieser Kollektion spricht – all das kennt man aus seiner gefeierten Bottega-Veneta-Zeit. Und als man glaubte, jede mögliche Version der Tweedjacke schon gesehen zu haben, zeigte Blazy seine eigene: modern, rundhalsig, kragenlos. Vermutlich war das Bedürfnis nach genau so einem Blazer selten größer als nach diesem Debüt.

Der Belgier ließ sich von Coco Chanels persönlichem Stil inspirieren – besonders von einem Foto, das sie in einem weißen Herrenhemd zeigt. Er griff Silhouetten und Details früherer Chanel-Epochen auf, ehrte sie in neuen Formen und verwendete Hemden des Pariser Traditionshauses Charvet – jenes Labels, bei dem auch Coco selbst Kundin gewesen sein soll.

Ebenso faszinierte ihn ihre ikonische Materialauswahl zwischen Tweed, Jersey und Seide. Blazy ließ neue, leichte Garne entwickeln, die selbst traditionsreichen Kostümen eine unerwartete Leichtigkeit verliehen. Chanel selbst verstand Komfort als wahren Luxus und setzte auf schlichte Eleganz. Sie übernahm Elemente der Herrenmode für weibliche Looks, inspiriert von ihrem Partner, dem Polospieler Boy Capel. Ihr "weniger ist mehr" wurde im Laufe der Jahre von Karl Lagerfeld zunehmend verwässert – doch Blazy folgte dieser Philosophie, ohne dem altvertrauten Chanel-Look hinterherzueifern. Vermutlich wäre das der einzige Weg gewesen, dieses Debüt zu ruinieren.

 

Blazy gliederte seine Kollektion in drei Kapitel. In "Paradox" setzte er sich mit Chanels Streben nach Gleichberechtigung auseinander – und mit ihrem gleichzeitigen Wunsch, durch Weiblichkeit zu verführen. Ein lässiger Anzug aus kurzer Jacke und weiter, tief sitzender Hose zu flachen Schuhen eröffnete die Schau. Blazy kombinierte fließende, umspielende Materialien mit klaren, kastige Silhouetten und fand so eine neue Balance. Schlichte Looks erhielten durch außergewöhnliche Broschen, Hüte oder skulpturale Halsstücke eine besondere Spannung.

Ein besonders schönes Beispiel für das modernisierte Chanel war das zwölfte Kleid: Es wirkt, als sei ein schwarzes Sweatshirt über einem asymmetrischen weißen Seidenrock geknotet, die Ärmel lässig aufgerollt. Dazu offenes, welliges Haar und rote Ohrringe, die an Seeigel erinnern. Man möchte sofort hineinschlüpfen – und es vermutlich nie wieder ausziehen, weil es zu jedem Anlass passt.

In dem Kapitel "Le Jour" beschäftigte sich Blazy mit Kleidungsstücken, die über Generationen weitergegeben wurden – und denen man ihr langes Leben ansieht. Das ikonische Kostüm zeigte sich in unterschiedlichsten Varianten: in leichtem, tanzendem Strick, mit blumenbesetztem Saum, mit tief sitzendem Rock und offenen Tweed-Kanten, als wollig-flauschige Version, kariert, mit Beinschlitz oder bunten Streifen. Aus allem spricht das Haus Chanel, doch keines wirkt 115 Jahre alt.

In "L’Universel" zeigte Blazy schließlich sein Gespür für Texturen und Haptik: Transparente, mit abstrahierten Blumen bestickte Roben trafen auf schlicht geschnittene Seiden-T-Shirts, kombiniert zu ausladenden Unterteilen. Hier entstand jener chic, an dem es so vielen Kollektionen dieser Saison fehlte. Nichts wirkte wie Verkleidung. Durch das clevere Styling – unkomplizierte Frisuren, bewusst abgenutzte Taschen, eine stimmige Balance – versprühte die Kollektion bei aller Couture-Handwerkskunst eine wohltuende Natürlichkeit.

Ein neues Kapitel Modegeschichte

Was lange währt, wird endlich gut – und Blazy ist der Beweis. Nach seiner Ernennung zum Kreativdirektor des Hauses nahm er sich Zeit – etwas, das in der Modebranche selten geworden ist. "Man springt nicht einfach so bei Chanel rein. Man braucht Zeit, man muss mit den Leuten sprechen, man muss die Handwerker kennenlernen. Die Oktober-Kollektion ist der Anfang von etwas viel Größerem, wir müssen ihm Zeit geben", sagte Bruno Pavlovsky, "President of Fashion" des Konzerns.

Das Haus denkt langfristig, nicht daran, Blazy nach zwei Saisons wieder auszuwechseln, wie es inzwischen zur Norm geworden ist. Er gilt als kostbares Investment, das die Marke prägen soll – und wird entsprechend nachhaltig eingearbeitet. Dadurch konnte die Kollektion jene Tiefe und Reife entfalten, die sie so besonders macht. Nichts daran wirkte oberflächlich. Und genau das gibt der Mode wieder Sinn. "Ich glaube, wir sind an einem Punkt, an dem die Mode ihre eigene Erzählung neu erfinden muss. Luxus allein reicht nicht mehr. Nur weil etwas teuer und selten ist – soll es deshalb gut sein? Das genügt nicht mehr", sagte Blazy im Interview mit "Business of Fashion".

Matthieu Blazy ist der Beweis, dass kreative Spitzen mit klarer Handschrift ein Modehaus wechseln können, ohne das alte mit sich zu tragen. Während Alessandro Micheles Entwürfe für Valentino noch stark an seine Zeit bei Gucci erinnern – fast wie ein Nachtrauern –, gelang es Blazy schon mit dieser ersten Show, ein völlig neues Universum zu erschaffen. Gestern hat ein neues Kapitel Modegeschichte begonnen. Drama, Baby!