Scheitern mit Christian Jankowski

I’m the Über-Loser, Baby!

Foto: Anna Gien
Foto: Anna Gien
Anna Gien und Christian Jankowski

Christian Jankowski ist der zweitbeste Künstler Deutschlands. Das Scheitern ist für ihn irgendwo auf dem Weg nach oben zum Ursprungsmythos seiner Karriere geworden. Monopol-Kolumnistin Anna Gien hat mit ihm über Scham, Erfolg und Männersachen gesprochen

Im Prenzlauer Berg gibt es einen Laden, der "School of Life" heißt. Da liegen Bücher, T-Shirts mit motivational quotes, außerdem veranstalten sie dort Seminare und Workshops, bei denen man etwas übers Leben lernen kann. Die Corporate Identity des Ladens ist serifenlos und sonnengelb, was das Ganze mehr nach Outdoorbekleidungsshop als nach esoterischem Selbsthilfegebimmel aussehen lässt. Ein Buch liegt ganz vorne in der Auslage: "How To Fail - The Self-Hurt Guide". Vom Titel grinst ein gelber Smiley.

Eine Gebrauchsanleitung zum Scheitern. Heruntergebrochen zu 200 Schlagsätzen. Alles ganz harmlos. Abgesehen davon, dass an der von mir aufgeschlagenen Stelle steht "Why are fat chicks usually the most annoying people at the bar?" (Erstens, wieso ist das relevant? Zweitens, ist das ein Buch nur für Männer? Drittens: Go bodyshame your own ass, m*th*rf*ck*R), finde ich das alles ziemlich gruselig.

Ich hab eine Scheißangst vorm Scheitern. Wie das etwas sein kann, worauf man für 30 Euro inklusive Mehrwertsteuer zwischen Flipcharts und Nussmischung klarkommen soll, ist mir schleierhaft.

Christian Jankowski ist der zweitbeste Künstler Deutschlands. Das Scheitern ist für ihn irgendwo auf dem Weg nach oben zum Ursprungsmythos seiner Karriere geworden. Wenn ich also mit jemandem darüber sprechen sollte, dann wahrscheinlich mit ihm.

Für so ein Gespräch brauchen wir eine Kulisse mit viel Pathos, dachte ich dann, und ich habe Christian gefragt, ob er mit mir über die Baustelle des Berliner Stadtschlosses spazieren will. Weil da so einiges schiefgegangen ist und Baustellen ja immer irgendwie nach Apokalypse aussehen.

Dienstag, 8.45 Uhr (morgens). 30 Grad im Schatten. Ich habe das rote Kleid angezogen. Damit Christian mich erkennt zwischen den Bauarbeitern und weil mir bessere Fragen einfallen, wenn ich mich dabei wie Anna Karina in "Pierrot le fou" fühle.

Wir fangen den Spaziergang auf dem Platz hinter dem Schinkel Pavillon an, an der Ecke "Niederlagstraße". Ich finde das lustig, Christian glaube ich nicht so. Ich zeige ihm das Haus, das sie da zwischen Kronprinzenpalais und Friedrichswerdersche Kirche reingepfercht haben, weil ich finde, dass es wie architektonisches harassment aussieht. Zwischen der Kirchenwand und der Luxusimmobilie, die jetzt leer und weiß aus der Baustelle ragt wie ein blank geputzter Schneidezahn, sind gerade mal eineinhalb Meter Platz. Die Kirche ist dann abgesunken und sie mussten Baustopp einlegen. Schlechtes risk management.

"Dachtest du eigentlich auch immer, dass es irgendwann losgeht?"

"Mit der Kunst?", fragt Christian.

"Naja, mit dem Leben so."

Christian erzählt mir von der Zeit, bevor es losging. Als er noch in Göttingen war und da Grafikdesign und Architektur studieren wollte. Von seiner Reise nach Brasilien und seinem Zivildienst. Und dass er da noch darauf gewartet habe, dass es losginge. Dass er immer dachte, er müsse auf andere warten, die ihm sagen, dass es jetzt losgeht. Darauf, an der Kunsthochschule in Hamburg angenommen zu werden zum Beispiel. Weil das dann nicht geklappt hat, ist Christian einfach selbst los. Und dann hat es auf einmal geklappt.

"Es gab diesen Zeitpunkt, an dem ich gemerkt habe, dass es jetzt losgegangen ist. So 92/93 war das. Da in Hamburg, in dem Schaufenster in Altona. Da waren auf einmal alle da. Ich trug diesen Rehberger-Anzug und war auf einmal selbst der große Zampano."

Ich fand Christian immer irgendwie sympathisch. Vielleicht weil er Heldenkunst macht, ohne Heldenkunst draufzuschreiben. Weil er eher weiße Hemden und Jacketts ist als verwegener Künstlerwüstling. Er hat sich professionalisiert. Die Kunst ist sein Beruf, zumindest sieht das so aus. Dass er sie zum Beruf machen musste, erzählt er mir auch. Dass es wirklich darum ging, Geld zu verdienen, nachdem sein Vater gestorben war und die Familie keines mehr hatte. Noch ein bisschen sympathischer finde ich ihn jetzt, wo er gerade "Zampano" gesagt hat. Aber das sage ich ihm natürlich nicht.

Seit dem Schaufenster-Ding in Altona war Christians Leben ein Überholmanöver. Harte Beschleunigung, 180 km/h mit den Rollschuhen auf der Autobahn. Christians Haare waren damals schon zu kurz, um im Wind zu flattern. Er erzählt mir davon, wie er mit seiner alten Rostlaube zur Präsentation für das Rottluff-Stipendium gefahren ist, und von dem Moment, als er aus dem Raum ging und Marcel Odenbach ihm so verschwörerisch zugezwinkert hat.

Ich frage Christian, ob er denkt, dass alles so glatt lief, weil er Glück hatte, oder weil seine Kunst gut ist, oder beides.

Christian lacht und sagt, dass er seine Kunst einfach spitze findet. Und dass er etwas zu erzählen hat, eben gerade weil für ihn alles nicht so einfach war. Eine seiner ersten Arbeiten war ja nicht umsonst der "Schamkasten". Da saßen Leute im Fenster des Ladenlokals und hielten große Tafeln in der Hand, auf denen stand, wofür sie sich schämen. "Ich schäme mich dafür, dass ich auf den Teppich meiner Mutter gekotzt habe" oder "Ich schäme mich für meine Schüchternheit", zum Beispiel.

Christian ist nicht gescheitert. Er gehört zu den wenigen Ausnahmen, die gut von ihrer Kunst leben können. Alle mögen Christian. Er hat ein zufriedenes Lächeln, ein altes Auto und eine schöne Remise. Er hat das Scheitern zur Performance, zu einem Teil seines Kunstbegriffs gemacht. Und war damit sehr erfolgreich.

Schon nach zehn Minuten in der Sonne wird mir schwindlig, und ich werde ein bisschen gefühlsduselig. Ich sage, dass ich glaube, dass das Scheitern an der Kunst etwas radikal anderes bedeutet als das Scheitern als Topos in der Kunst. Dann erzähle ich ihm von dem Triptychon im Hamburger Bahnhof von Cy Twombly, das ich so traurig finde. Da geht es um Ehre, um die schönen Künste, um Wettbewerb, um Scham und um Tod. Ich sage zu Christian, dass ich glaube, dass es das Schlimmste sein muss, an der eigenen Kunst zu scheitern. Keinen Erfolg mit etwas zu haben, von dem man selbst überzeugt ist.

Christian redet dann von Woody Allens Film über den zweitbesten Gitarristen der Welt, von Competition und vom Kunstmarkt. "Das ist wie ein sportlicher Wettkampf", sagt Christian. "Aber es geht nicht ums Gewinnen, sondern ums Dabeisein und um so etwas wie Wohlwollen."

Ich glaube, er meint damit, dass alle auch irgendwie Freunde waren. Dass sie ihre Arbeit gegenseitig respektiert haben. Er und Jonathan Meese und John Bock und die ganzen anderen Männer, von denen er mir erzählt.

Das kann ich irgendwie verstehen. Sport wollen ja alle machen. Weil es schön aussieht, wie unser Stiernacken im Spiegel glänzt, während wir am Powerade nuckeln. Weil wir alle echte Männer sein wollen. Und weil man die Männerfreundschaft eben am besten mit einem chestbump besiegelt und sich das mit stählerner Brust einfach besser anfühlt.

Christian glaubt nicht, dass der Kunstmarkt-Sport ein Gentlemen's Club ist. Er sagt, bei Alicja Kwade, Monica Bonvicini und Jorinde Voigt ist das doch auch so. Ich glaube, wenn man zu lange im klimatisierten Fitnessstudio sitzt, vergisst man schnell, dass man 79,90 im Monat dafür bezahlt und dass man ohne Ausweis nicht an der Schranke vorbeikommt.

"Hast du mal eine Arbeit von dir kaputtgemacht?“

"Nein, das finde ich irgendwie pathetisch. Sogar der eigentlich geniale Baldessari hat ja seine ganz frühen Sachen kaputtgemacht. Dass der sich zu so was hat hinreißen lassen."

Wir lachen beide.

"Und wolltest du mal Sachen von anderen kaputt machen?"

"Nein. Also ich habe mal Sammlern angeboten, Kunstwerke aus ihrer Sammlung zu verbessern. Aber kaputtmachen wäre ja irgendwie Arnulf-Rainer-mäßig. Oder Chris-Burden-mäßig."

Jetzt lache nur ich, weil ich es lustig und erschütternd gleichzeitig finde, so darüber nachzudenken. Vielleicht sind wir in einer Zeit angekommen, in der jede Handlung zur tagline der eigenen brand wird. Vielleicht war das schon immer so. Nach van Gogh hat sich ja auch keiner mehr das Ohr abgeschnitten. The one and only self-hurt-guy.

Das hier ist gar nicht so einfach. Immer wenn ich versuche, über das Leben zu reden, redet Christian über Kunst. Als ich ihm das sage, sagt er, dass sich für ihn "das Leben über die Kunst deutet". Und er alles aus der Kunst und in die Kunst hineindenkt. Das finde ich schön für ihn, aber ich weiß nicht, ob das heute noch so gut funktioniert wie in den 90ern, wo art noch kein hashtag war. Dann sagt Christian: "Wo Dan Graham sagt, 'Rock My Religion', sage ich 'Art My Religion'". Zum Glück lacht er dabei.

Ich will von Christian wissen, ob man seine Kunst überhaupt schlecht finden kann. Jetzt, wo sich ja eigentlich alle einig sind, dass sie ganz gut ist. Christian erzählt von seiner neuen Malerei und davon, dass die ja von mancher Seite, von Kito Nedo und Rudolf Zwirner zum Beispiel, nicht so gut aufgenommen wurde. Und dass er das aber auch ganz gut fände, also streitbare Kunst zu machen und wenn jemand mal ehrlich ist. Ich hoffe, dass er das auch noch denkt, wenn er meinen Text gelesen hat.

"Und gibt’s was, das du gut findest, das alle anderen schlecht finden?"

Jetzt strahlt Christian und sagt: "Ja! Udo Lindenberg!" Vielleicht hat er auch schon Sonnenstich. Wir gehen zu seinem Auto und er zeigt mir CDs, die er mag und für die er sich ein bisschen schämt. Udo Lindenberg, Rio Reiser, The Alan Parsons Project und eine Platte, von der er das Cover geil findet, gerade weil es so daneben ist. Dann noch Peter Fox, was vielleicht das einzige von den Sachen ist, für die man sich wirklich schämen muss. Ich erzähle ihm, dass ich manchmal Christina Aguilera höre, wenn ich zur Uni fahre, und dass ich das niemandem erzählen kann, weil ja dann meine credibility als radikale Feministin und Intellektuelle dahin wäre, aber ich glaube, er hört mir nicht richtig zu, weil er so beflügelt ist von der Cover-Sache.

Dann fängt Christian an zu singen. "Games People Play", von Alan Parsons Project:

Where do we go from here now that all other children are growin' up
And how do we spend our lives if there's no-one to lend us a hand
I don't wanna live here no more, I don't wanna stay
Ain't gonna spend the rest of my life, quietly fading away

In meinem Kopf ist das Christians und mein imaginärer Chestbump-Moment. Weil darin so viel ist, über das wir nicht sprechen können, weil Christian professionell ist, weil das hier ja ein lustiger Text sein soll, alles andere sowieso irre pathetisch und ziemlich Hans-Haacke-mäßig wäre. Weil er so eine schöne Stimme hat und vielleicht auch Popsänger hätte werden können, wie ich. "Too much promise", das schreiben die mal auf mein Grab, hat mal ein Freund zu mir gesagt.

Christian muss gleich los, aber vorher stellen wir uns noch kurz in den Schatten und versuchen eine Zusammenfassung. Produktivität muss sein, trotz aller deepen Einsichten. Christian gesteht mir, dass er seine eigene Scheiterstory auch irgendwie scheiße findet. Und dass er jetzt eigentlich gar nicht mehr vom Scheitern sprechen will. Ich finde es gut, dass er das sagt.

So gut, dass ich anfange "I'm a Loser, Baby" zu singen, von Beck. In dem Moment, wo das Lied die Charts gestürmt hat, wurde der Loser zum Über-Loser mit Gewinnerlächeln. Vom Hinfallen kann man nur gut erzählen, wenn man wieder aufgestanden ist. Das steht auch in diesen Büchern aus dem Laden im Prenzlberg.

Try again. Fail again. Fail better. Christian lacht. Die Sonne glitzert. Ich glaube, das war eigentlich anders gemeint.