Porno ohne Porno

Warum hier Stroh liegt

Das Buch "Color Orgasm" orientiert sich an Pornoheftchen der 70er-Jahre - allerdings fehlen die eigentlichen Sex-Szenen. Die Bilder erzählen allein vom Beginn der erotischen Eskapaden und so von einem endlos verlängerten Begehren

Ein vielsagendes Lächeln, eine beiläufige Berührung, eine Kleideranprobe, die ein bisschen zu eng und zu nah ausfällt. Dort eine Berghütte, in die man sich dank offenstehender Tür gleich vor dem einbrechenden Schneesturm flüchten kann, und da steht ja auch schon wie bestellt der freundliche Herr in der Tür und gesellt sich sogleich zum verliebten Paar auf die Couch ...

Falls erotische Spannung einmal so ausgeschaut hat, dann wäre das Knistern in diesen Momenten wahrhaft mit den Händen zu greifen: Hell ausgeleuchtete Räume, die wirklich keinen Platz lassen für Unausgesprochenes, junge Frauen und jüngere bis mittelalte Herren, offenbar alle mehr denn ready, so sahen sie wohl aus, die Pornoheftchen der 70er-Jahre. Doch wie mag es weitergehen?

Auch die Literatur, sagt man sich, wäre manchmal nichts ohne ihre erotischen Zwischeneinsprengsel; vage Erinnerungen, wie man sich zum Beispiel bei Houellebecq zu den deprimierend-handfesten Szenen vorblätterte, um die manchmal doch etwas langatmig empfundenen Passagen dazwischen zu skippen.

"Color Orgasm" treibt dieses Prinzip der Andeutungen und Hinführungen nun schön albern auf die Spitze: Im Format eines ebensolchen Schundblättchens wird der erlösende Akt mit jedem Blättern nur weiter herausgezögert, nämlich immer wieder mit einer völlig neuen Geschichte von vorn begonnen. Die hier versammelten Szenerien, heißt es aus dem Verlag des französischen Künstler Jean-Marie Donat, "sind nicht mehr als Vorwand-Bilder: ungeliebt und entbehrlich, kaum berührt vom Leser, der die Seiten umblättert, begierig nach mehr zügellosem Inhalt."

Allegorie auf den bilderreichen Digital-Alltag

Die so entstehenden Eindrücke seien Geisterbilder, heißt es weiter, nur dazu gedacht, das Verlangen weiter anzufachen, das sie selbst nie einzulösen vermögen. Die Allegorie auf den bilderreichen Digital-Alltag kommt da nicht zufällig in den Sinn. In dem führt das Klick, Mehrlesen, Weiterlesen bekanntlich auch selten jemals zum gewünschten Resultat, viel eher erscheint ein ins Endlose fortgeführtes Begehren als Kernprinzip dieser Selbstbefriedigungsmaschinerie mit ihren spukenden Bildern und Texten.

Doch zurück in die Anschauung: Worin die versaute Violinenstunde, das heitere Treffen zu Dritt oder das Champagnerstündchen auf dem Brautbett münden werden, enthält "Color Orgasm" seinen Lesern also konsequent vor. "Besser so!", sagt da der Porn-Snob, der von dieser biederen Kleinbürgerlichkeitserotik lieber nicht zu viel wissen will (wobei interessant ist, wie sehr der Firnis eines hippiesk angehauchten Jahrzehnts mit seinen Fellwesten, Schlaghosen und Shisha-Pfeife die sonst als zuverlässig geltenden Zeichen der Muffigkeit recht gut zu überdecken wissen).

Aber als Kunstprojekt machen die unschuldig-anzüglichen Fotogeschichten aus einer anderen Zeit schon Laune, und man fragt sich, ob es nicht ohnehin eine gute Idee wäre, öfter einmal wieder auf das starre denn aufs bewegte Bild zu setzen. Sprechblasen oder gleich unausgesprochen Bleibendes sind so viel charmanter. Und die sogenannte Realität darf derweil irgendwo zwischen dem einen und dem anderen Panel verlustig gehen.