Ausnahmezustand in Österreich

"Es wäre unverzeihlich, wenn wir Menschen in Gefahr bringen"

In Österreich sind wegen des Coronavirus alle Bundesmuseen geschlossen. Muss das sein? Sabine Haag, Direktorin des Kunsthistorischen Museums in Wien, über Verantwortung und Folgen für die Mitarbeiter

Frau Haag, seit Mittwoch sind in Österreich wegen des Coronavirus alle Bundesmuseen im ganzen Land geschlossen. Haben Sie so etwas schon einmal erlebt?

Nein, eine solch dramatische Maßnahme haben wir noch nie erlebt. Und für uns ist das Schwierige an der Situation, dass wir auch nicht abschätzen können, wie lang die Maßnahmen anhalten .

Sie haben mit den Direktorinnen und Direktoren der betroffenen Museen noch in der Nacht zum Mittwoch zusammengesessen. Wie muss man sich die Entscheidungsfindung vorstellen?

Die acht österreichischen Bundesmuseen sind zum Gremium der Bundesmuseenkonferenz zusammengeschlossen, in dem wir uns auch außerhalb solcher Ausnahmesituationen mit Vertretern des Kulturministeriums abstimmen. Aufgrund der großen Unsicherheit rund um das neue Coronavirus haben wir uns am Dienstag zu einer außerordentlichen Sitzung getroffen, um gemeinsam eine Linie zu finden. Wir haben uns dann schließlich entschieden, der Empfehlung des Bundeskanzleramts zu folgen und die Museen an allen Standorten bis mindestens zum 3. April zu schließen.

Halten Sie diese rigorose Maßnahme für gerechtfertigt?

Wir haben schon im Vorfeld intensiv überlegt, wie wir auf eine solche mögliche Empfehlung der Regierung reagieren sollten. Die Beschränkung von 500 Personen bei Veranstaltungen im Außenraum und 100 Personen bei Indoor-Zusammenkünften ist im internationalen Vergleich strikt bemessen, wir sehen aber die Chance, dass mit diesen Maßnahmen die Eindämmung der Coronavirus-Epidemie unterstützt werden kann.

Die Kunsthalle in Wien, die kein Bundesmuseum ist, ist dagegen offen geblieben und will gewährleisten, dass nicht mehr als 100 Menschen gleichzeitig in den Räumen sind. Wäre das keine Alternative gewesen?

Für uns nicht. Die Richtlinie lässt ja relativ viel Interpretations-Spielraum. Beziehen sich die 100 Personen auf einen Raum, ein Stockwerk oder die gesamte Publikumsfläche des Museums? Und über welchen Zeitraum: pro Stunde oder über den ganzen Tag gesehen? Natürlich gäbe es grundsätzlich, Möglichkeiten der Zugangsbeschränkung. Wir haben aber als Bundesmuseenkonferenz beschlossen, dass eine Zählung zu komplex ist.

Wie viele Menschen kommen durchschnittlich am Tag zu Ihnen ins Kunsthistorische Museum?

Das kommt auf die Jahreszeit und das Programm an. In Stoßzeiten, zuletzt bei unserer "Caravaggio und Bernini" Ausstellung oder bei Pieter Bruegel, haben wir um die 4000 Besucher täglich im Haus. Sie können auch nicht überall die genaue Einhaltung von Besucherzahlen kontrollieren. Die Leute stehen beim Ticketkauf an, dann an der Garderobe, wo man sich sehr nahe kommt. Uns geht es um die Gewährleistung der Gesundheit unserer Besucher und unserer Mitarbeiter. Es wäre für uns unverzeihlich, wenn wir durch eine Öffnung des Hauses Menschen in Gefahr bringen. Man nennt es ja gemeinhin "den österreichischen Weg", wenn man immer annimmt, dass es "schon irgendwie geht". In diesem Fall wollten wir aber Vorbild sein, in allem, was wir tun. Das ist dramatisch und hat 100 Prozent Erlös-Ausfall zur Folge. Aber nur so gibt es überhaupt eine Chance, dass wir am 3. April wieder aufmachen können.

Können Sie den erwarteten Verlust schon beziffern?

Für Zahlen ist es noch zu früh, aber natürlich sind alle unsere Einnahmefelder betroffen: Ticketverkäufe, Shop-Erlöse, Führungs-Buchungen und Raumvermietung.

Was heißt die Schließung für die Mitarbeiter? Werden die alle nach Hause geschickt?

Die Schließung bezieht sich auf den Besucherbetrieb. Hinter den geschlossenen Türen geht der Betrieb weiter, zum Beispiel in der Forschung. Uns ist es sehr wichtig, transparent zu sein und immer die Kommunikation mit dem Team zu suchen. Wir sind auch im ständigen Austausch mit unserem Krisenstab und spielen verschiedene Szenarien durch, wie wir alle bestmöglich unterstützen können – wenn zum Beispiel alle Schulen geschlossen werden. Wir erörtern auch Möglichkeiten des Tele-Workings. Wir als Direktoren müssen daran arbeiten, dass nicht ganze Abteilungen unter Quarantäne gestellt werden. Es darf natürlich nicht passieren, dass zum Beispiel plötzlich das ganze Sicherheitsteam ausfällt.

Manche Bereiche wie Kunstvermittlung oder Besucherservice werden jetzt nicht gebraucht. Was passiert mit diesem Personal?

Genau das müssen wir uns jetzt anschauen. Alle unsere Maßnahmen müssen sich im Rahmen des Epidemie-Gesetzes bewegen, und wir sind im engen Austausch mit dem Betriebsrat. Wir wollen keine Kündigungen aussprechen und richten den Blick auch auf unsere freien Pool-Mitarbeiter und Personal in prekären Verhältnissen. Unser Ziel ist es, allen eine faire und sozial gerechte Lösung anbieten zu können, aber wir können noch nicht genau sagen, wie sich das zum Beispiel in einem finanziellen Ausgleich niederschlagen kann. Erst einmal haben wir unseren Mitarbeitern Urlaubsabbau und Zeitausgleich nahe gelegt, das gibt uns eine gewisse Flexibilität.

Erwarten Sie finanzielle Unterstützung von der Regierung?

Die wünschen wir uns natürlich.  So unsicher die Prognosen für die Zukunft sind, eines können wir schon zweifelsfrei sagen:  Wir werden unsere Prognosen für die Einnahmen 2020 nicht halten können. Schon in der ersten Märzwoche ist es zu einem Besucherrückgang von 50 Prozent gekommen, ab der Schließung gibt es einen Totalausfall der Einnahmen. Wir sind mit Vertretern der Regierung im Austausch, und wir wissen, dass sie sich der prekären finanziellen Situation bewusst sind. Aber für konkrete Forderungen ist es noch zu früh.

In Deutschland gibt es noch keine einheitlichen Maßnahmen. Würden Sie auch hier zur generellen Schließung der Museen raten?

Es liegt mir fern, anderen Ratschläge zu erteilen. Aber es ist schön, mit vielen internationalen Kollegen, auch aus Deutschland, im Austausch zu sein. Ich erlebe Solidarität, aber ich verstehe, dass es auch viel Unsicherheit gibt. Letzten Endes muss jeder für sich entscheiden.  

In den letzten Jahren wurde viel über die Digitalisierung von Museen gesprochen. Was kann man von zu Hause aus vom Kunsthistorischen Museum sehen?

Wir glauben fest daran, dass Museen die Orte der Originale sind, und alles, was im digitalen Raum passiert, idealerweise zum Museumsbesuch führen soll. Aber gerade jetzt sind wir dankbar, dass wir im digitalen Raum gut vorbereitet sind. Wenn die Menschen nicht zu uns kommen können, kommt das Museum zu ihnen. Wir haben die Sammlung online, wir haben einen Youtube-Kanal, sind in den sozialen Medien präsent und vieles mehr. In den kommenden Wochen wollen wir auch dadurch den Blick hinter die Kulissen ermöglichen. Was passiert hier, wenn keine Besucher da sind? Was machen wir? Wir werden die Zeit für Maintenance nutzen und für all das, wofür man sonst keine Zeit hat. Daran kann man das Publikum teilhaben lassen. Daraus können auch lustige Geschichten entstehen.

Tut es Kunstwerken eigentlich gut, ein paar Wochen nicht vollgeatmet zu werden?

Unsere Klima-Regulierung bleibt natürlich bestehen, aber es ist tatsächlich ein Aufatmen der Säle, wenn sie nicht von Publikum gestürmt werden. Wir sehen das mit gemischten Gefühlen, denn natürlich ist ein geschlossenes Museum nicht das, was wir uns wünschen.

Die Coronavirus-Krise ist für viele Menschen nicht nur eine Gefahr für die Gesundheit, sondern auch eine psychische Belastung. Kann die Kunst da irgendwie helfen? Oder hat die Kultur jetzt eben einfach mal Pause?

Kunst ist ein Begleiter im Alltag, in Hochzeiten und schweren Zeiten, wenn man glücklich oder traurig ist, wenn man Angst oder Kummer hat. Die Auseinandersetzung mit Kunst ist immer ein Mittel, mit Situationen fertig zu werden – da ist es nachrangig, ob ich ein Original, einen Kunstkatalog oder eine digitale Reproduktion vor mir habe. Die emotionale Begegnung mit Kunst ist gerade jetzt, wo vieles so unsicher ist und man zu Menschen auf Distanz gehen soll, bereichernd. Man ist auf ich selbst zurückgeworfen. Und das ist der Moment, wo Kunst eine Hoffnungsquelle sein kann.