Ausstellung in Berlin

Klingt gut, diese Kunst

Manche Bilder haben einen Rhythmus in sich. Solche Werke sind gerade bei Daimler Contemporary in Berlin zu sehen. Die Ausstellung hat ihren eigenen Soundtrack und der Kurator wird zum virtuellen DJ   

Aus Chromstahl, Blech, Aluminium, Plastik und Gummischläuchen hat Hartmut Landauer die insektenhafte Skulptur "Amaru" zusammengebaut, die nicht nur visuell, sondern auch klanglich erfahren werden kann. Das vom Künstler komponierte Stück wurde auf Vinylplatte gepresst und kann in der Ausstellung "Sound on the 4th Floor" per Kopfhörer angehört werden.

In der vierten Etage des Hauses Huth am Potsdamer Platz widmet sich der Berliner Showroom der Daimler Sammlung den Verschränkungen musikalischer und bildkünstlerischer Strukturen. Werke mit Sound sind mit geschätzt 150 (von 3000) Werken derart zahlreich in der Kollektion vertreten, dass Direktorin Renate Wiehager einmal mehr gut daran getan hat, einen unabhängigen Kurator mit der engeren Auswahl zu betrauen. Nach Ben Willikens, Nic Hess und zuletzt 2017 Bethan Huws, die die Sammlung kühn in ein Duchamp’sches Readymade ummünzte, schlägt nun der österreichische Künstler Gerwald Rockenschaub eine Schneise durch die Kollektion. Rockenschaub, der auch als DJ in Erscheinung getreten ist, hat die jetzt auf 50 Werke reduzierte Auswahl nicht als klassische Themenausstellung angelegt, sondern agiert als "virtueller DJ", der die Kunst einer quasi-musikalischen Dramaturgie unterwirft. Akkorde und Harmonien, Polyphonie, Tempi, Beats stellen sich ein – und das vor allem auf der visuellen Ebene.

Rockenschaub ist zwar selbst mit Werken in der Sammlung vertreten, die aber in der Ausstellung nicht gezeigt werden. Der Künstler-Kurator hat allerdings für den Audioguide – auf den der Betrachter keinesfalls verzichten sollte – eine Abfolge elektronischer Tracks komponiert. Es ist den Besuchern überlassen, ob sie Rockenschaubs Soundtrack anwählen oder alternativ die spezifischen Sounds und Beats der unterschiedlichen Werke abrufen. Das gilt auch für die 15 Videoarbeiten, für die Rockenschaub ein Display entwarf, das ein wenig an einen Architektentisch erinnert. Die Filme von Kirsten Mosher, Park Chan-Kyong oder Zu Zhen werden durchweg im selben (Klein-)Format gezeigt und damit wie auf einem Plattenteller "aufgelegt".

Bach als Lieblingsinspirator der Kunst

"Sot4thF" – so lautet das Kürzel der Ausstellung – bietet spannende Passagen durch die Soundgeschichte der Kunst, angefangen von Adolf Hölzel und Wassily Kandinsky um 1905, weiter zum Konstruktivismus und Neo Geo bis zu den Bildcollagen und Skulpturen zeitgenössischer Kunst. Oft schließt sich der zeitliche Kreis – wenn etwa die 1935 geborene Künstlerin Rune Mields die Partitur einer Kirchenkantate von Bach in dem Bild "Welt ich bleibe nicht mehr hier (Bach Cantata No. 82)" von 1991 zitiert und Musik und Text von der Erscheinung eines Knochenmanns durchdringen lässt, der einen Menschen mit sich trägt. Interessanterweise ist Bach derjenige Komponist, dem die Kunst des 20. Jahrhunderts die meisten musikalischen Anregungen verdankt.

Ein von Rottönen bestimmtes Bild der berühmten "Homage to the Square"-Reihe von Josef Albers zählt zu den schönsten Exponaten der Ausstellung. Von 1949 an schuf der deutsche Maler und Lehrer mehrere tausend Werke dieser Bildfolge. Im Medium von Farbe und visuellen Tonstufungen variierte der Künstler Prinzipien von Harmonie und Disharmonie, Konsonanz und Dissonanz – Begriffe der Musik also, wie er sie auch seinen Studenten vermittelte. Camille Graeser und Adolf Fleischmann zählen zu weiteren Künstlern der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die mit Farben malten und dabei in Klängen dachten.

Boogie Woogie mit Mondrian 

Inspiriert von Piet Mondrians zwischen 1942 und 1944 entstandenen "Boogie-Woogie"-Bildern stellt der Gegenwartskünstler Gregor Hildbrandt diversen Soundmaterialien visuelle Partituren gegenüber. Die aus farbigem Tape geklebte Mondrian-Paraphrase "Non perderti per niente al mondo" soll die Notation des gleichnamigen Songs von Paolo Conte sein.

Solche Bilder "hört" man – auch ohne die Musik zu kennen. Insofern kann man glatt auf die Kopfhörer verzichten. "Manche Bilder haben einen Sound oder einen Rhythmus in sich", erklärt auch Gerwald Rockenschaub im Begleitheft zur Ausstellung, das gratis ausgegeben wird und als vertiefende Lektüre sehr zu empfehlen ist.

Das Dröhnen des von Robert Longo mit Kohle gezeichneten Motors "Untitled (engine)" von 1995 ist eben – trotz der Stille des Mediums Papier – im Kopf genauso unüberhörbar wie das reale Ticken der von Alicja Kwade umgebauten Wanduhr, bei der sich "Gegen den Lauf" (2014) das ganze Ziffernblatt so dreht, dass der Sekundenzeiger stehen zu bleiben scheint. Oder die klackenden Absätze der Models in Sylvie Fleurys Videos "Twinkle" und "Car Wash". Vor allem aber besitzen die konstruktivistischen Gemälde des 1982 früh verstorbenen Malers Günter Fruhtrunk – zu sehen ist leider nur sein "Epitaph für Arp" von 1972 – eine Musikalität und Rhythmik, von der man gerne mehr "gehört" hätte.