Olafur Eliasson und Frederik Ottesen

Das Gefühl, ohne Sound zu fliegen

Olafur Eliasson und der dänische Erfinder Frederik Ottesen planen gemeinsam den Bau eines Solarflugzeugs. Ist es Aufgabe der Kunst, die Welt zu retten? Ein Gespräch

 

Sie wollen ein Solarflugzeug für viele Passagiere bauen.
FREDERIK OTTESEN: Richtig. Wenn du ein Flugzeug entwirfst, hast du zwei Gegner: das Gewicht, das es nach unten zieht, und der Luftwiderstand, der es am Fliegen hindert. Das größte Problem ist der Verbrennungsmotor. Man muss ihn loswerden. Dann musst du nicht mehr die Vibration des Motors unterdrücken, und das Flugzeug wird viel leichter und aerodynamischer. Der Verbrennungsmotor hat eine Effizienz von 20 bis 30 Prozent, ein elektrischer dagegen von 95 Prozent. Es wird schwierig sein, die Leute dazu zu bekommen, umweltfreundlich zu fliegen, wenn die Flugzeuge nicht einfach besser sind.

Im März-Heft von Monopol stellt Peter Richter in einem Essay infrage, dass ökologisches Design ästhetisch überzeugend aussieht. Der Designer Clemens Weisshaar entwirft derzeit ein elektrisches Motorrad, ohne Motor und Auspuffrohre. Er meint, damit fehlt das Wesentliche der Erfahrung einer Fahrt.
OTTESEN: Es ist wahnsinnig ästhetisch, die Performance zu verbessern! Ein Motorrad verkörpert die ästhetische Erfahrung der Bewegung. Man kauft mit dem Gefährt auch Beschleunigung und Entschleunigung. Das Momentum des elektrischen Motors ist hier bei Weitem überlegen. Er wird viel schneller beschleunigen als jeder zuvor. Und seine Leichtigkeit erlaubt es auch, viel schneller zu bremsen.
OLAFUR ELIASSON: Ingenieure wie der Solarflugzeug-Pionier Bertrand Piccard denken viel innovativer als Vermarkter. Die Erfinder denken an eine singuläre Erfahrung, die Verkäufer an etwas Normatives, was auf der Erfahrung aller basiert. An den kleinsten gemeinsamen Nenner. Es gibt einen Mangel an Vertrauen ins Neue. Frederik ist ein Grassroots-Erfinder mit einem kleinen Netzwerk von Freunden, die mit ihm zusammenarbeiten, hochgradig innovativ. Das Kommunikationssystem ist dezentralisiert. Man muss nicht nur das Produkt neu erfinden, sondern auch seine Integration in den Markt.

Welche Rolle spielen Sie als Künstler in diesem Prozess?
ELIASSON: Die Frage ist, wie man sich am besten integriert, ohne Kompromisse einzugehen. Als Künstler, ich romantisiere jetzt ein wenig, hat man Zugang zu verschiedensten Bereichen, ohne sich um Markt- und Machtrelationen kümmern zu müssen. Gerade überlege ich, wie ich Frederiks Arbeit infrastrukturell voranbringe. Das könnte am Ende das Kunstwerk sein: das Unmögliche möglich zu machen. Es geht nicht um die Farbe, in der man das Flugzeug anmalt, sondern um den begleitenden Diskurs.

Ihr Projekt erinnert mich an die Renaissance, auch damals gab es Erfinder, die sich um alle gesellschaftlichen und technischen Bereiche gekümmert haben. Es geht um Maschinen …
ELIASSON: … die eine bessere Welt ermöglichen, ja. Ich sehe mich nicht als Erfinder, das ist Frederiks Part. Eher als Mitwirkenden. Kunst ist doch heute marginalisiert, zu einem elitären, luxuriösen Ding, raus aus der politischen Diskussion. Kunst hat hier aber viel beizutragen, allein über kulturelle Produktionsstrategien. Ich spreche mit Leuten, die nicht mit mir übereinstimmen. Schön an der Renaissance war, dass Künstler stark in die Gesellschaft integriert waren. Aber der Markt und egozentrische politische Systeme haben die Künstler marginalisiert.

Aber was Sie Marginalisierung nennen, ist doch ein Autonomisierungsprozess der Avantgarde, eine Errungenschaft der Kunst, oder?
ELIASSON: Es ist ein bisschen komplexer. Sicher war der Beitrag der Avantgarde sehr wichtig – die kritischen Instrumentarien, die sie zur Verfügung stellte, waren effizient und in der Gesellschaft eingebettet. Aber ihr Stigma war ihre Besessenheit, sich von der Tradition abzulösen. Sicher: Auch wenn ich meine Arbeiten nicht nur im Museum, in Galerien oder auf dem Markt zeige, vertraue ich sehr auf die Ideen der Avantgarde. Ihre Subversivität, wie man den öffentlichen Raum in neuer Weise formatiert. Wir sind heute beides zugleich, sowohl drin im gesellschaftlichen Diskurs als auch draußen – das ist das Gefährliche. Und die Herausforderung, die ich annehme.

Wie arbeiten Sie beide zusammen? Welche Rolle spielt die Formfindung? Ist es ähnlich wie bei Ihrem BMW-Auto, geht es um eine Skulptur?
ELIASSON: Wenn wir effizient sein wollen, müssen wir hier andere Wege gehen. Das Auto war so eine Art front-runner. Wir haben eine Solarlampe zusammen gemacht …
OTTESEN: … da geht’s weniger um die tatsächliche Form. 1,6 Milliarden Menschen auf der Erde haben keine Elektrizität. Das verstärkt das Bedürfnis nach autonomen Strukturen. Leute brauchen Licht und haben meist nur Kerosinlampen. Die brennen Häuser nieder und vergiften die Menschen. Unsere Frage war, künstlerisch und ingenieurtechnisch: Wie baut man die billigste Lampe der Welt? Denn sonst können wir sie nicht verkaufen. Und dann: Wie produziert man eine Million davon? Wie wird aus Vision Realität?
ELIASSON: Es geht um ganz simple Fragen, um den banalen Alltag. Und um die Verteilung von Macht. Warum sind bestimmte Gebiete erleuchtet, andere nicht? Die Leute sollen kein Kerosin kaufen, sondern ein autonomes System. Und weniger bezahlen. Und weniger Gewicht tragen. Jeder fragt immer: Aber wie sieht es aus? Ich finde das verwirrend: Es ist nämlich irrelevant.
OTTESEN: Kinder, die nachmittags für die Eltern arbeiten, können keine Hausaufgaben machen, also müssen sie es abends am Feuer tun – oder an einer Lampe. Ich war in Addis Abeba. Dort erzählte man mir, dass die Kinder auf dem langen Schulweg die Batterien aufladen können, weil die Sonne dann brennt. Niemand würde je nach dem Aussehen einer solchen Lampe fragen.

In der Renaissance gab es den „Disegno“-Begriff, da waren künstlerische Idee und Entwurf identisch …
ELIASSON: Im Verlauf der Industrialisierung wurden rationale Systeme eingeführt, das Streamlining der Produktion, alles wurde messbar. Wir müssen wieder zu Pionieren werden und Vertrauen haben, Zuversicht. Den politischen Systemen fehlt das. Die Politiker handeln populistisch aus Angst, dass die Leute ihnen nicht glauben. Und die Museen denken zu kurzfristig, und auch deren Besucher haben keine Zuversicht und trauen den eignen Augen nicht. Das ist wie ein Zirkelschluss. Und dann treffe ich Frederik, der großes Vertrauen hat in Dinge, die völlig unmöglich erscheinen.

Die aber am Ende eine bestimmte Form annehmen werden, oder?
ELIASSON: Vielleicht wird das Kunstwerk nicht das Design sein, sondern das Gefühl, ohne Sound zu fliegen. Nur den Wind zu hören. Mein Mitwirken wird vielleicht bereits existierende Dinge noch ein wenig deutlicher machen. Die Erfahrung existiert, aber ich kann sie vielleicht verdeutlichen, exemplifizieren oder einen Aspekt verdichten. Ohne Objektfixierung kann Kunst auch zeitliche, emotionale oder philosophische Fragen erörtern. Wir werden es weniger mit den Augen sehen als mit dem Herzen spüren ... klingt herzzerreißend, oder? (lacht)
OTTESEN: Der Solarantrieb ist ein wunderbarer Gedanke, aber unnütz, wenn niemand davon profitiert. Ideal wäre ein reales Flugzeugunternehmen. Inspirierend ist, was Elon Musk mit dem elektrischen Tesla Car geschaffen hat. Das hat eine bessere Performance als jedes andere Auto. Aus dem Nichts gründete er eine Firma – wie es aussieht, mit Erfolg. Also: Es kann funktionieren!

Dieser Text ist die leicht gekürzte Fassung eines Interviews, das in Monopol 3/2011 erschien. Das Heft hat den Themenschwerpunkt "Zukunft"