Kunstfilmbiennale

Das ist Köln: Fünf Tage schönste Überforderung

Wenn in Köln etwas zweimal stattfindet, dann nennen es die Einheimischen eine Tradition. Und ein Sieg reicht hier zur Serie. Bereits zum siebten Mal findet die Kunstfilmbiennale statt – irritierenderweise nicht alle zwei Jahre, sondern jährlich. Somit gehört sie fest zur Kölner Identität, und das ist gut so. Dieses Mal erweiterte sie sich ins kommerziellste Kino der Stadt, den Cindedom, ein Beispiel für kulturelle Rückentwicklung. Es liegt im Mediapark, dem Sinnbild der wechselnden Selbstzuschreibung Kölns als ehemals Kunst-, dann Medien- und jetzt nur noch Eventstadt.

 

So ein Event soll jetzt die Kunstfilmbiennale werden, und das ist nur bedingt gut so. Die Eröffnung bot zwar ordentlich Kulisse im 705 Plätze großen Saal, aber enttarnte auch die Überforderung, der sich das Festivalteam um den künstlerischen Leiter Heinz Peter Schwerfel dankenswerter Weise aussetzte, um ein so nährstoffreiches, teils sensationelles, aber auch hybrides Programm bei allen Unwägbarkeiten zu bewegen.

 

Das Immergrößerwerden stresst ungemein, und dann schwächelt auch noch der Eröffnungsfilm, der verspätet beginnt, nach zwanzig Minuten, zuzüglich geschlagener 45 Minuten Reden von fünf Honoratioren und Politikern. Und dann noch der SPD-Recke Hans-Georg Bögner, ein Unterstützer der Kunstfilmbiennale, der kürzlich für Schlagzeilen sorgte, als sein gekaufter Doktortitel auf- und er aus dem Rat flog. Das ist Köln.

 

Die Eröffnungsfilme

Es schien, als solle der Eröffnungsfilm eine Klientel bedienen, die sich sonst eher nicht für Kunst- oder Kurz-, erzählenden oder experimentellen Film interessiert: Die Arbeit „The Butcher’s Shop“ ist der Versuch, in einer Parallelmontage und in 7 Minuten 14 Sekunden das Gemälde „Fleischerladen“ von Annibale Carracci aus dem 16. Jahrhundert nachzustellen. Der eine Blick geht auf den Künstler, der andere auf das sich aufbauende Motiv der Fleischer. Links fährt die Kamera dicht über das rote Fleisch und die Knochensäfte einer Schweinehälfte, rechts über die Rottöne der Palette, in der doch, ach!, schon alles angelegt. Dazu sülzt ein mit heißer Nadel komponierter Badalamenti. Crazy. Da ist einem der Regisseur Jerzy aus Godards „Passion“ weit angenehmer und näher an der Wirklichkeit, als er 1981 in der Schweiz mit jungen Arbeiterinnen berühmte Gemälde nachstellt, bis ein Streik unter seinen Statistinnen beginnen soll und ihm so der Unsinn seine Tuns zumindest schwant. Bei „The Butcher’s Shop“ führte Philip Haas Regie, und der glänzte bisher eher nicht mit großartigen Filmen. Die Seligkeit der Eröffnung rettet der Anti-Anti-Kriegsfilm „Lebanon“ des israelischen Regisseurs Samuel Maoz – der dann auch einen der zwei Publikumspreise gewann.

 

Internationaler Wettbewerb

Im für das Festival zentralen internationalen Wettbewerb gingen die Filme „Wolfy“ von Vasilj Sigarev und „Evolutions“ von Jani Ruscica als Sieger hervor. Freude machte auch eine neue Arbeit von Doug Aitken: „Migration (Empire)“ betrachtet in schönem Schmerz das Ende einer Zivilisation, die sich hässliche Motelzimmer baut. Diese Räume erobern sich die faunaeigenen Tiere zurück: der Büffel, der Biber und schließlich der Berglöwe, der wie wild eine Kissenschlacht beginnt. Das Reh entdeckt an der Wand die Trophäe eine alten Freundes, skalpiert und auf Holz genagelt und macht sich über die Minibar her, mit naturgemäß gehetztem Blick und spezieseigener Traurigkeit. Der Biber spielt in der Badewanne; ebenfalls allein. Und der Adler betrachtet das weiße Rauschen des Fernsehers. Aitken techni- und anthropomorphisiert brutal aber schön, und es lässt einen nicht los.

 

Javier Téllez erzählt Dr. Caligari neu in einer Auftragsproduktion für das Berliner Haus der Kulturen der Welt, sinnigerweise im Einsteinturm in Potsdam und mit Patienten einer psychiatrischen Klink aus Neukölln. Die Theatergruppe Ramba-Zamba tritt in einer der Rummelplatzszenen auf – Téllez, Sohn von zwei Psychiatern, weiß, wo sich die künstlerische Arbeit ohne Sinnkrise heutzutage versteckt: in der Arbeit mit Behinderten. Das ist komisch und berührend, zwischen Huillet/Straub und Schlingensief, zart anarchisch in strenger Form: „Caligari und der Schlafwandler“.

 

Neues Galerienprogramm

Im neuen Galerienprogramm der Biennale lief in der schönen Baukunst Galerie am Ebertplatz Hans op de Beecks „Staging Silence“. Auf einem in der Totalen aufgenommenen Arbeitstisch türmt sich aus Thermoskannen, Aschenbechern und anderem Alltagsmaterial eine Straßenschlucht auf: Sanft bauen Hände in vorsichtigen Überblendungen Minikulissen auf und ab, und in der Folge entstehen Krankenhäuser, Büros, Festsäle, Wetterbilder, Flusslandschaften. Unaufdringlich intelligent spielt op de Beeck mit der Anfälligkeit unserer Raumwahrnehmung, ohne große technische Spielerei lotet er die Grenzen aus, weiß um die kollektiven Erinnerungen an Orte, und eine nicht minder kluge Tonspur beschäftigt die restlichen Synapsen.

 

Retrospektive Harun Farocki

Nachdem das nun alles Künstler sind, die dem guten Jahrgang 1968/9 entstammen, erfreut Harun Farocki mit ebenso alten Arbeiten im Museum Ludwig in einer Ausstellung, die einen Überblick seines Schaffens gibt. Endlich, könnte man sagen. Hier ist auch die Installation „Deep Play“ aufgebaut, die sich mit Strategie und Ablauf des WM-Endspiels von 2006 in Originalzeit beschäftigt. Die zwölf parallelen Kanäle zeigen allerhand Analysemöglichkeiten der beteiligten Teams, vereinzelt Fernsehbilder, aber auch die Sicherheitskameras des Stadions. Seine aktuellste Arbeit „Immersion“ ist Resultat zweier Drehtage, die einen Workshop begleiten, in dem Therapeuten den Umgang lernen mit der Software „Virtual Iraq“, die traumatisierten Soldaten aus der Krise hilft. Während der Immersionstherapie wiederholt der Patient das Erlebnis, erzählt es nach und durchlebt es erneut. Das Computeranimationsprogramm erleichtert das Eintauchen in die Angst oder verstärkt sie. Darin gleicht es dem Kunstfilm in seinen besten Momenten.

 

Die Ausstellung und das Filmprogramm mit Arbeiten von Harun Farocki läuft noch bis zum 8. März 2010 im Museum Ludwig, Köln. Mehr unter www.museum-ludwig.de