Centre d’Art Contemporain, Genf

Das Leben ist kein Wartesaal

Neid erweckt das kurze Video „Untouched“ von Peter Friedl, in dem sein Sohn ausgelassen roséfarbene Luftballons mit dem aufgedruckten Satz „Nobody knows Science“ vernichtet. Gerne würde man bei diesem anarchistischen Spiel mitmachen. Der Film dokumentiert mehr als zwei Jahre unbekümmertes Spiel mit Luftballons, den Objekten der Neugierde. Zahlreiche Hinrichtungen: Tod durch einen Nagel, durch Zertreten, Zerbeißen, Zerquetschen, Anzünden.

Überhaupt ist der Besucher der Schau „Pourquoi Attendre!“ („Warum warten!“) aufgefordert, sich zu beteiligen. Das Genfer Centre d’Art Contemporain widmet seine aktuelle Ausstellung dem postmodernen Schreckgespenst der Langenweile und setzt ihr etwas entgegen: den Zeitvertreib. Los geht’s im Foyer. Mit blauem Absperrband ist ein Spalier vor den Eingang gespannt. Selbst wer sich einreiht und es brav durchläuft, gelangt nicht zum Ziel, sondern findet sich verdutzt in irgendeiner Ecke wieder. Die labyrinthische Installation „5 minutes de retard“ von Allan Kaprow sieht aus wie die Gitterwand bei einem Popkonzert. Zusammenstöße der Zuschauer sind hier vorprogrammiert.

Eine Verschnaufpause bietet das Ausstellungsforum, das einer Empfangshalle ähnelt. Um die Mitte der Empore sind als kleine Wartezimmer sieben Sitzgruppierungen angeordnet. Für den Kurator Simon Lamunière ist der Warteraum immer ein „Dazwischen“: „Karg möbliert, ungemütlich, ein Übergangszeit-Kontinuum, um woanders hinzugelangen. Es gibt keinen Grund länger zu bleiben als nötig.“ Die Ausstellung aber zwingt den Besucher, zu verweilen, sich zu beschäftigen. Was gibt es zu entdecken?
 
Über den kleinen Wartezimmern sind Monitore an der Decke angebracht, auf denen Videos laufen, ausgewählt aus der Sammlung André Itens. Das Künstlerpaar Marina Abramović und Ulay verharren während ihrer in „Breathing in, Breathing out“ dokumentierten Performance in einer Haltung und spenden sich gegenseitig Atem. Christelle Lheureux zeigt ihre „Bingo Show“ – die Erwartungshaltung des Zuschauers wird nicht im Geringsten erfüllt und radikal mit jedem typischen Erzählmuster gebrochen –, Thomas Hirschhorn die Filmarbeit „Für Retro Flury“, in der die Kamera einen Papierbogen begleitet, der sich langsam entfernt, vom Wind über die Dächer einer industriellen Stadt gleitet und im Nirgendwo verschwindet.
 
Schon von den Sitzplätzen aus lassen sich weitere Ausstellungsinstallationen und Eingänge erkennen. Was sich dahinter befindet, lässt sich vorerst nur erahnen. Mehrere Zugänge sind mit schwarzen Vorhängen abgedeckt. Hinter einem wartet eine filmische Inszenierung von Samuel Beckett, „Geistertrio“. Ein Stuhl, ein Bett im Halbdunkel, Stimmen aus dem Finsternis. Das Ganze ist ein Spiel mit undefinierten Akteuren. Unheimlich, wie das reale Zimmer und das auf die Leinwand Projizierte nahtlos ineinander übergehen.
 
Ohne den Besucher funktioniert hier nichts, durch sie erst geraten statisch scheinende Installationen in Bewegung. Wie bei Martin Creeds Installation „Work No.360“, fast bis zur Decke reichen silberne Ballons, ein Eingang, ein Ausgang. Betreten auf eigene Gefahr.
 
Centre d’Art Contemporain, Genf, bis 7. Februar. Mehr Informationen unter centre.ch