Das Schöne und der Schock: In Brüssel wird David Altmejd hyperdramatisch

David Altmejds Skulpturen und Installationen leben von der Vereinigung des Gegensätzlichen. Sie sind monströs, aber im besten Sinne: Man wird mit ihnen so schnell nicht fertig. Mit der Schau „Le guide“ in der Brüsseler Galerie Xavier Hufkens fordert der Kanadier erneut das dialektische Sehen heraus, das Vermögen des Betrachters, all die Widersprüche zu einigermaßen konsistenten Eindrücken zu vereinen. Altmejd stellt Plexiglasvitrinen aus, in denen er Gebilde aus Fäden, Schnüren, Drähten, Wachs, Knetmasse, Haaren und Glaskristallen gewebt hat. Allein die Materialien zerreißen sich geradezu zwischen organisch, künstlich und technisch.
Sie bilden 3-D-Zeichnungen, deren Achsensymmetrie man aber nur in der Frontalansicht erkennt. Im Gang um die Vitrine verschwindet das erste Bild, Form kehrt sich ins Ungeformte. Was eben noch kitschig wirkte, wird nun in Sachlichkeit aufgelöst – als schaute man hinter die Kulissen einer schwülstigen Operette. Operettenhaft und hyperdramatisch sind diese Skulpturen auf den ersten Blick tatsächlich. In zwei Vitrinen neigen sich etwa Schwanenköpfe in schönster An- und Demut dem Betrachter zu. Doch ihre Plastilinschnäbel kleben an ihnen wie Abszesse. Das Schöne und das Abstoßende, auch sie sind bei Altmejd Geschwister.
Die Verweise auf die Welten des Horrorfilms kennt man vor allem von seinen riesigen, (über-) menschlichen Figuren mit Haut aus Fell und Spiegeln und Kristallen – bis März 2011 präsentiert die Brüsseler VanhaerentsArtCollection solche Statuen. Monumental geriet auch David Altmeijds Beitrag für den kanadischen Pavillon auf der Venedig-Biennale 2007: eine wuchernde Frankensteiniade aus einem liegenden Giganten, Geschwülsten und Tieren.
Die neuen Arbeiten in „Le guide“ sprechen eine leisere Sprache: Es ist, als hätte der 35-Jährige hier das Innere seiner Humanoiden freigelegt, die feinen Nervenstränge und Blutbahnen. Expressionismus, einmal wörtlich genommen.