Kommentar

"DAU", ein Fall für #MeToo?

Der Regisseur Ilya Khrzhanovsky hat sein lange geplantes Projekt "DAU" in Paris verwirklicht. Die Kunstwelt feiert ihn, aber kümmert sich nicht um seine fragwürdigen Methoden

Ist es möglich, in der Kunst zu weit zu gehen? Diese Frage stellt "DAU", das künstlerische Ufo, das der russische Regisseur Ilya Khrzhanovsky im Pariser Théâtre du Châtelet und im Théâtre de la Ville hat landen lassen und das dort noch bis zum 19. Februar 2019 residiert. Die Erfahrung ist zweifellos faszinierend. Zwei Jahre lang hatte der russische Regisseur die Grenzen der Kunst und des Menschlichen herausgefordert, um die 400 Personen haben abgeschlossen von der Außenwelt in einem fiktiven Institut der Sowjetzeit gelebt, das in der Ukraine aufgebaut worden war. Das Resultat: 700 Stunden Drehmaterial, das zu 13 Filmen zusammengeschnitten wurde, für die französische Aufführung synchronisiert von Isabelle Huppert, Gérard Depardieu oder Fanny Ardant und mit Überraschungsgästen wie Marina Abramović.

Die Kunstwelt ist überwältigt, die Kommentare auf Instagram quellen über vor Superlativen. Aber einige Schauspieler und Hilfskräfte, die sich geweigert haben, mitzumachen, haben von Missständen berichtet. Eine renommierte französische Schauspielerin, die anonym bleiben möchte, hat uns erzählt, dass sie Ende November angefragt wurde, einen der Filme zu synchronisieren. Erfasst von einer Mischung aus Faszination und Abscheu, habe sie neun Filme gesehen, von denen drei pornographische Szenen mit alkoholisierten Frauen beinhalteten. Bis der letzte Film, der die physische und psychische Folter einer Frau zeigte, sie endgültig erschütterte. Das war genau der Film, den sie hätte synchronisieren sollen. Sie lehnte ab, trotz des üppigen Honorars von 5000 Euro für drei Stunden Arbeit, um "das Abfilmen solcher barbarischen Akte nicht zu unterstützen".

Eine andere junge Frau erzählte von einem extrem seltsamen Rekrutierungsprozess für die Mitarbeit bei "DAU": Erstes Gespräch im Setting eines extra dafür aufgebauten Beichtstuhls, mit Fragen rund um den Tod. Zweites Gespräch in einem nachgebauten Pornokino, wo die Fragen intimer wurden: die Beziehung zu ihrem Ex, ihre Meinung zu Prostituierten und zu Sterbenden. Ihre Geschichte ähnelte der einer Bewerberin, die 2009 in einem Artikel im Magazin "GQ" erzählt wurde, einem der wenigen Berichte vom Dreh. 

Ebenfalls seltsam wirken die Verträge mit den Mitarbeitern, die auf Facebook geleakt wurden, in denen die totale Verfügbarkeit der Angestellten für einen Monat festgeschrieben wird, sieben Tage in der Woche, 24 Stunden am Tag, als befände man sich einer Reality Show. Seit #MeToo haben solche Extremsituationen, die Schauspielerinnen und Schauspielern aufgezwungen werden, einen Namen: Belästigung.

Schon lange vor der Weinstein-Affaire hatte die Schauspielerin Léa Seydoux den Druck und die Demütigungen öffentlich gemacht, denen sie beim Dreh des Film "Blau ist eine warme Farbe" ("La Vie d'Adèle") von Abdellativ Kechiche ausgesetzt war. 

In beiden Fällen, bei Kechiche wie bei Khrzhanovsky, huldigt die Kunstwelt dem Genie, ohne sich um die Methoden zu kümmern. Der Grund ist, dass in der Kunst die rote Linie zwischen Arbeit und Privatleben kaum existiert. Man findet es normal, dass Kunst mit Dinnern, Parties und Trinkgelagen verbunden ist und auch so promotet wird, so wie die, die DAU für ein handverlesenes Kunstpublikum veranstaltet. Künstler denken, alle ihre Exzesse seien entschuldigt im Namen der Kunst und der Avantgarde. Wo aber sexuelle Begierden und Verführung als Teil der Arbeit angesehen werden, ist die Grenze zum Missbrauch nur noch hauchdünn.