Deana Lawson in Basel

Neue Königinnen und Könige

Die Künstlerin Deana Lawson fotografiert ihre Modelle wie klassische Figuren der Kunstgeschichte. Ihre Stärke sind die Brüche in der Inszenierung. Aus den Lebensrealitäten in der afrikanischen Diaspora schöpft sie gewaltige Bilder 

Er nennt sich "Chief" und trägt dicken Goldschmuck. Doch der Thron dieses Königs ist ein ausgebeultes Sofa. Ein alter Vorhang weht ins Bild, an den schmutzigen Wänden hängt ein bleicher Jesus. Der "Chief" ist Schwarz. 

Aktueller könnten die Bilder von Deana Lawson kaum sein, die derzeit in der Kunsthalle Basel unter dem Titel "Centropy" gezeigt werden. "Black Life Matters" ist der Satz der Stunde, mit dem auf der ganzen Welt gegen Rassismus gekämpft wird. Das sind die Bilder dazu. 

Die afroamerikanische Fotografin Deana Lawson, die 1979 in Rochester, New York, geboren wurde, nennt die Menschen auf ihren Bildern “vertriebene Könige und Königinnen der Diaspora”. In Brasilien, Äthiopien, Jamaika und den USA hat sie afrikanische Communities besucht, hat Menschen auf der Strasse angesprochen, sie in ihren Wohnungen fotografiert, oft nackt. Zum Beispiel Daenare. Die schwangere Frau liegt auf einer Steintreppe ohne Geländer. Ihr Blick ist direkt in die Kamera gerichtet, das florale Muster der Bodenplatten setzt sich in ihrem Tattoo fort. Lawson inszeniert ihre Protagonistin im Gemäldeformat wie eine der klassischen Nackten in der Kunstgeschichte. Doch ein Detail ist unübersehbar: die Fußfessel. Was für ein gewaltiges Bild.

Bereits im ersten Ausstellungsraum fühlt es sich an, als wäre man in ein Familienalbum hineingeraten. So viele Bilder, so wenig Platz. “Ich möchte, dass die Bilder eng beieinander hängen, damit die Porträtierten in der Lage sind, sich gegenseitig zu beschützen”, sagte Lawson kurz vor der Eröffnung. Zwei Tage später drückte ein weißer Polizist sieben Minuten und 46 Sekunden lang sein Knie auf den Hals von George Floyd. Das öffentliche Interesse an dieser Ausstellung ist riesig. Denn auf diesen Bildern wird noch einmal deutlich: die Polizeigewalt, die Ungerechtigkeit, die Armut - all das gab es schon vorher. Nur haben weniger Personen hingeschaut.

Die Bilder halten gegen den Klischee-Vorwurf

Nun gäbe es so vieles, worüber man bei Lawsons Fotografien sprechen könnte: Über die Referenzen zur klassischen Malerei, über den blinden Fleck der Kunstgeschichte im Umgang mit Schwarzer Lebenskultur, über unseren Blick auf den weiblichen Körper. Oder über die Funktion der Vorhänge in ihren Bildern. Doch was diese Bilder so außergewöhnlich macht, ist Lawsons Kunst, mithilfe der Inszenierung die Realität zu zeigen oder besser gesagt: fühlbar zu machen. Eine Frau, nackt auf dem Bett ihres verstorbenen Mannes. Eine Großmutter mit ihren drei Enkelkindern auf dem Schoß. Warum sieht sie so jung aus? Wo ist die Mutter? Und warum sind die Wände hier blutrot angemalt?

Lawsons Bilder sind auch ein Spiel mit Stereotypen, und das ist nicht ganz unproblematisch. So entfachte sie mit ihren Ausstellungen in der Vergangenheit immer wieder Debatten darüber, ob hier nicht Klischees reproduziert würden. Doch die Bilder halten dagegen: So heruntergekommen die Interieurs manchmal sind, so klischiert die Figuren darin: Was Lawson immer auch einfängt, ist der Stolz der Menschen. Die Frauen wirken bei Lawson nie wirklich nackt, auch wenn sie es sind. Oder wie Kuratorin Elena Filipovic es formuliert: "Lawson gibt schwarzem Leben die Intelligenz, die Schönheit und den Glanz zurück, den es verdient."

Die Künstlerin, die in New York lebt, belässt es aber nicht nur beim Medium Fotografie. Sie bereichert “Centropy” mit einer Videoarbeit, in der sich Tribal-Musik, Hip-Hop-Kultur und Aufnahmen von Demonstrationen vermischen. Und besonders ist auch die Wahl der Bildrahmen: In ihnen spiegelt sich die weiße Besucherin selbst.