Kinofilm über Magnum-Fotograf Hoepker

Von Küste zu Küste, von Erinnerung zum Vergessen

Der Kinofilm "Dear Memories" begleitet den an Alzheimer erkrankten Magnum-Fotografen Thomas Hoepker auf den Spuren einer 60 Jahre alten Reportage

2020 fährt Thomas Hoepker zusammen mit seinen Frau Christine Kruchen vom US-Bundesstaat New York los, um in einem Wohnmobil die Vereinigten Staaten zu durchqueren, wie damals, 1963, als er für die in Hamburg erscheinende Illustrierte "Kristall" unzählige Bilder schoss, die über fünf Ausgaben hinweg gedruckt wurden. Da hat er bereits die Diagnose Alzheimer hinter sich. Für Hoepker Grund genug, um weiterzuarbeiten und sich dank der Hilfe seiner Frau den Wunsch zu erfüllen, von der Ostküste über das Hinterland bis nach San Francisco zu fahren.

Die Route ist ihm nicht unbekannt. Sie war der Grund für eine seiner ersten großen Reportage-Reisen. Danach kam der Ruhm, mit dem ikonischen Schwarz-weiß-Porträt von Muhammad Ali, Farb-Reportagen aus Guatemala und China oder zuletzt der inzwischen berühmten Momentaufnahme am 9. September 2001, als er auf eine Gruppe junger New Yorker traf, die sich in Brooklyn zur Lunchzeit vergnügt zu unterhalten schienen, während im Hintergrund schwarze Rauchwolken aufstiegen.

Der deutsch-chilenische Filmemacher Nahuel Lopez ist von Anfang an dabei. Man besucht als Trio Bekannte, ruft sich Fotos in Erinnerung an Stationen, die man von früher kennt, irgendwo im Land der Trump-Wähler, die immer gerne Auskunft erteilen, meint das Paar, anders als die Großstädter im anonymen Moloch New York. Immer wenn Hoepker mit seiner Leica allein loszieht, spricht er mit fremden Menschen, fotografiert sie, um am Ende festzustellen, dass "gute Bilder selten sind", weswegen er von der ganzen Reise nur sechs gebrauchen könne. Ein richtig gutes Bild, sagt der unbarmherzige Selbstkritiker, gelinge mitunter nur einmal pro Jahr. Was nicht heißt, dass es sich nicht lohne, trotzdem wieder loszuziehen, es könnte ja genau der Tag sein, an dem sich dieses beste Bild ereignen könnte.

Intime und mitfühlende Hommage

Lopez schaut nicht oft zurück ins Archivmaterial. Er zeigt das Paar im Alltag einer fordernden Reise, bei Skype-Gesprächen und dem Schießen der neuen Bilder. Hier und da hört man ein früheres Interview und Ausschnitte aus Hoepkers Essays. Wenn der Fotograf den Faden verliert und in Las Vegas die Kapelle nicht wiedererkennt, in der er Kruchen geheiratet hat, wird auch die fortschreitende Krankheit zu einem weiteren bitteren Akteur, dem die beiden aber nicht den Gefallen tun wollen, sich kampf- und humorlos zu ergeben.

Eine intime und zugleich überaus mitfühlende Hommage an einen sein ganzes Leben hindurch aktiven Menschen, der in Bildern dachte und selbst noch im Vergessen, im Team mit anderen, ein Stimmungsbild der vom Präsidentschaftswahlkampf und der aufflammenden Pandemie gebeutelten USA zu zeichnen weiß, vom menschenleeren Las Vegas und vermummten Schwarzen, deren misstrauische Blicke von den gerade vergangenen Black-Lives-Matter-Demonstrationen erzählen.