Yayoi Kusama im Centre Pompidou

Dem Kosmos zugeneigt

Alles fing an mit einer Halluzination im Esszimmer. Die zehnjährige Yayoi sah sich plötzlich von Punkten umzingelt. Die runden Störgeister breiteten sich auf Wänden und Boden, Decke und den Kleidungsstücken der etikettebewussten Eltern aus. Selbst vor ihrem Körper machten sie keinen Halt. Ein beunruhigendes Erlebnis, das den weiteren Werdegang der heute 82-jährigen Exzentrikerin prägte.

Wie schön, dass sich jetzt das Erweckungsgefühl der Königin der Punkte in der großen Retrospektive im Centre Pompidou gleich am Eingang nachvollziehen lässt. Das besagte Esszimmer, eines von insgesamt 150 gezeigten Werken, empfängt den Besucher mit Blaulicht. Die fluoreszierenden Punkte lassen sich von nun an nicht mehr abschütteln. Sie sind überall. Auf den lustvoll inszenierten Fotografien, die Kusama bei der Arbeit, also dem Posieren als Gesamtkunstwerk zeigen, dominieren sie die Interieurs.

Sie selbst gibt sich als Teil dieser Realität auffressenden Landschaften, der Individualität und des menschlichen Jammertals entledigt und dabei so verwirrend dem Kosmos zugeneigt, dass man sie mit ihren knallig roten und blauen Perücken und Umhängen für eine Außerirdische halten möchte.

Kurz nach dem Kunststudium hielt sie ihre Visionen wohl noch im Zaum. Der Kleidungsstil war keineswegs polka-dotted, sondern züchtig – wenn auch bereits mit Hang zu ausufernden Strukturen. In New York verlebte die Pop-Vorreiterin ihre wilde Zeit zwischen Love Happenings, Nudismus auf der Straße und orgiastischen Performances. Nicht, dass die vor allem in den psychedelischen 60ern kompatible Japanerin inzwischen untätig wäre. Das serielle Prinzip hat sie immer noch im Griff. Monochrome Bilder mit Punktmustern malt sie ohne Unterlass in der psychiatrischen Klinik, in die sie sich 1977 freiwillig einweisen ließ.

Weitere Varianten ihrer berüchtigten phallusartigen Skulpturen erschafft sie aus Bügelbrettern oder Leitern. Auch neuere Arbeiten, wie die fortentwickelte Installation „Infinity Mirror Room - Love Forever“, zeugen von anhaltender Freude an dem obskuren Charme der Unendlichkeit. Ein Meer von bunten elektrischen Lämpchen verwandelt das dunkle Spiegelkabinett in eine Raumschiffkapsel, die sich entlang einer imaginären Milchstraße vom Diesseits entfernt. Schwarze Löcher sind wahrscheinlich als black dots willkommen. Bon Voyage! 

Centre Pompidou, Paris, bis 9. Januar