Quadriennale 2010

Der Düsseldorf-Komplex

Die erste Quadriennale von 2006 stellte noch theoriefest die im Kulturbetrieb beliebte Frage nach dem Körperkult. Antworten fand sie bei den großen Körperfetischisten Caravaggio und Francis Bacon, würdigte Bruce Naumans „Body Art“ und gab auch der Mexikanerin Teresa Margolles eine Chance, ihre nekrophilen Todesvisionen unter die empathieresistente Gesellschaft zu schmuggeln. Das Motto des zweiten Düsseldorfer Ausstellungsmarathons gerät dagegen arg zahm, auch wenn es an prominenten Untoten nicht mangelt.

Unter dem wenig aussagekräftigen Oberthema „kunstgegenwärtig“ möchte man sich mit Berlin, der anderen „internationalen Kunstmetropole“ messen, weshalb sich auch der Oberbürgermeister Dirk Elbers während der Pressekonferenz zur Eröffnung nicht nehmen ließ, die eigene Größe im Superlativstakkato von „reich und sexy“ bis zu „Paradies der Künstler“ zu beschwören.

Bei so viel regionaler Selbstzufriedenheit wundert es auch nicht, dass das umstrittene Konzept beibehalten wurde: der Zusammenschluss unabhängig kuratierender Häuser, die zu Marketingzwecken auf Synergien und etablierte Positionen setzen. Risikofreude sucht man vergebens, schließlich soll die von der Politik initiierte und mit fünf Millionen Euro geförderte Prestigeveranstaltung vor allem Quote bringen.

Beuys: berührend monumental
Was liegt da näher, als die größte Stadtlegende Beuys 25 Jahre nach ihrem Tod aus der Versenkung zu holen und als Zugabe gleich einen nostalgischen Blick auf den glorreichen Rest zu werfen. Immerhin lässt sich im renovierten K20 das Leuchtturmprojekt mit etlichen Schlüsselwerken sehen. In drei großen Sälen geht es berührend monumental zu, wie es sich für ein kunsthistorisch abgesichertes Jahrhundertwerk gehört. Direktorin Marion Ackermann und ihre Co-Kuratorin Isabelle Malz haben für die „Parallelprozesse“ betitelte Schau beim Berliner Büro Kuehn Malvezzi eine Ausstellungsarchitektur bestellt, die gleich am Eingang in der neuen Großhalle mit in die Höhe gestreckten Zwischenwänden die Atmosphäre eines Tempels erschafft.

Aus der Sicht von Nachgeborenen stellen sie die skulpturalen Qualitäten des Beuys´schen Kosmos in den Mittelpunkt, sinnlich und fern der politischen Zuspitzungen, die der Kunsterneuerer so gerne in seinen Aktionen herstellte. Die lassen sich auf sparsam eingesetzten Film-Dokumenten und auf dem Weg ins zweite Stockwerk in einer wunderbar dadaistischen Akustik-Collage von 1970 nacherleben. „Ja Ja Ja, Nee Nee Nee“ tönt es im milchweißen Treppenhaus, als ob der Meister mit Metallgehstock, Hase und Filzhut gleich um die Ecke biegen sollte. Die glamouröse Installation „Palazzo Regale“ im Finale führt den Parcours wieder ins Erhabene zurück, zu den goldenen Wandtafeln und Reliquienvitrinen, die den einstigen Provokateur zum Sonnenkönig mit erheblicher Strahlkraft krönen.

Nam June Paik, manischer Bastler
Nicht weniger monolithisch kommt die zweite große Retrospektive im Museum Kunst Palast daher und das, obwohl ihre Hauptattraktion antiquarisch wertvolle Fernsehgeräte sind. Musiker und Videopionier Nam June Paik ist hier als manischer Bastler zu erleben, der seine Flimmerkästen mitten in den Swinging Sixties zu Roboterskulpturen oder Wandbarrieren zusammenschraubte, vor die er Aquarien mit Fischen platzierte. John Lennon und Yoko Ono zeigten sich vom Charme dieses Technikfreaks, gegen den sich sein Freund Beuys wie ein tiefsinniger deutscher Schmerzensmann ausnahm, amüsiert, was eine aufs Schönste unverstellte Fotosession belegt.

Nebenan im NRW-Forum und im K21 bekommen die Bechers samt Schülern ihren wohl verdienten Auftritt. Im Letzteren finden auch die 80er zu historischen Ehren und ihre Düsseldorfer Protagonisten, von Thomas Schütte bis zu Isa Genzken, erleben gleich zu Lebzeiten ihre eigene Musealisierung. Schade nur, dass sich die Dokumentation der Zeitfolklore mit der Punkzentrale „Ratinger-Hof“, wo Palermo, Kippenberger und Sieverding ihr Unwesen trieben, erst in dem mehr als empfehlenswerten Katalog findet.

Wo bleibt die Gegenwart?
Um die junge Düsseldorf Kunst muss man sich wohl Sorgen machen, glaubt man ihrer Abwesenheit auf dem Festival – selbst die hippe Julia Stoschek Collection zeigt Super 8-Filme von Derek Jarman, weicht aber damit immerhin von der verordneten Nabelschau ab. Bleibt nur der längst nach Berlin desertierte Björn Dahlem, der seinen Auftritt im KIT wohl dem Studium auf der Düsseldorfer Kunstakademie verdankt. Das haben viele andere auch, wie Angelika Trojnarski oder Andrea Lehmann. Beide halten dem rheinischen „Kunst-Mekka“ die Treue. Ob sich das bis zur dritten Ausgabe der Quadriennale bei den Organisatoren rumgesprochen hat? Gegenwärtig wäre man dann allemal.

Bis 16. Januar 2011 an verschiedenen Orten in Düsseldorf