Álvaro Siza

Der einfühlsame Star

Die erste umfassende Monografie über Álvaro Siza Vieira erscheint kurz vor seinem 80. Geburtstag. Sie ist groß und schwer und scheint „Stararchitekt“ zu rufen, wie viele Publikationen aus dem Taschen Verlag. Die dazugehörigen Ehren wurden ihm längst zuteil: 1992 bekam er den Pritzker-Preis, 2005 gestaltete er den Pavillon der Londoner Serpentine Gallery, 2012 wurde der Portugiese auf der Architekturbiennale in Venedig mit dem Goldenen Löwen für sein Lebenswerk ausgezeichnet. Und doch will das Label gar nicht recht zu Siza passen.

Vielleicht liegt es daran, dass er sich bei seinen Entwürfen nie um größtmögliche Wiedererkennbarkeit geschert hat, sondern stets auf Angemessenheit bedacht war. „Implantação“ nennt er das Einfühlen in die Umgebung, und schon sein erstes Bauwerk ist auch ein halbes Jahrhundert nach der Eröffnung noch ein überzeugendes, ja perfektes Beispiel: Das Teehaus und Restaurant Boa Nova in Porto, angepasst an die Felsenküste und unscheinbar von der Straßenseite aus, entfaltet im mahagonigetäfelten Inneren eine cineastische Inszenierung des Atlantiks und wird auch in weiteren 50 Jahren noch ein modernes Gebäude sein.

Siza hat Loos, Aalto und Niemeyer verinnerlicht, doch die Komplexität seiner Bauten, sei es sozialer Wohnungsbau oder eine Uni-Fakultät, geht über die Moderne hinaus. Solides Handwerk von der Zeichnung bis zur Innenausführung und die Berücksichtigung lokaler Gegebenheiten – was in Portugal bedeuten konnte, dass aus Mangel an Dachziegeln eine Terrasse aufs Haus gesetzt wurde – sind Sizas große Stärken. Immer äußert er sich auch kritisch: „Früher haben Architekten und Handwerker zusammengearbeitet, dieselbe Sprache gesprochen. Heute hat man einen Projektleiter. Das erklärt die Mittelmäßigkeit eines Großteils der Architektur“, heißt es in dem von Philip Jodidio herausgegebenen Buch. Jodidio hat Siza zweimal interviewt, zuletzt 2011. In der Öffentlichkeit ist der Architekt nicht gern, seine Bauten sprechen für ihn.

Philip Jodidio (Hrsg.): „Álvaro Siza: Complete Works 1952–2013“. Auf Deutsch, Englisch und Französisch. Taschen Verlag, 500 Seiten, 99,99 Euro