Zum Tod von Lucian Freud

Der Mensch als Farbauftrag

Für viele war er der größte figurative Maler der Gegenwart. Andere schmähten ihn als "Altmeister des Hautausschlags". Jetzt ist der britische Künstler Lucian Freud im Alter von 88 Jahren gestorben

Die Spezialität des Künstlers, der unter anderem am Goldsmiths College studierte und dessen surreales Frühwerk von geheimnisvollen Beziehungen zwischen Pflanzen und Menschen fabulierte, war ab 1952 der menschliche Körper.

Seine Porträts und Aktdarstellungen ankern in der akademischen Tradition des 19. Jahrhunderts. Ihre irritierende, oft auch beunruhigende Wirkung verdanken die Bilder einem schonungslosen Realismus. Freuds Gemälde treiben den meist üppigen, Topmodel-Standards widersprechenden Modellen jede Erotik aus, indem er Körper und Gesichtszüge unbequem verzerrte. Hautfalten, Pickel oder Krampfadern wurden bis ins Monströse betont. Der britische Kunsthistoriker Herbert Read nannte Freud in Anspielung auf einen französischen Klassizisten den „Ingres des Existentialismus". Ingres war legendär für die rosig schimmernden Hauttöne seiner weiblichen Modelle. Freud dagegen wollte, „dass meine Porträts aus Menschen bestehen, aber nicht wie Menschen aussehen. Für mich ist die Farbe die Person. Sie soll für mich funktionieren wie Fleisch"

Am Kunstmarkt erzielten seine Bilder Rekordsummen. Im Jahr 2008 wurde das Bildnis einer pathologisch übergewichtigen Frau, "Benefits supervisor sleeping" (1995), für rund 34 Millionen Dollar an den milliardenschweren Russen Roman Abramowitsch verkauft. Öffentliche Erregung provozierte Freuds wenig schmeichelhaftes Porträt der Queen von 2001. Arthur Edwards, der Hoffotograf des Rupert-Murdoch-Krawallblatts „The Sun", forderte, den Maler dafür in den Tower einzusperren.

Die Familie des 1922 in Berlin geborenen Künstlers war 1933 vor den Nazis nach London geflohen. 1939 erhielt Lucian dort die britische Staatsbürgerschaft. Sein Vater Ernst Freud, ein Architekt, war der jüngste Sohn Sigmund Freuds. Dessen psychoanalytische Studien hätten sich indes nicht auf Freuds Schaffen niedergeschlagen, betonte William Feaver, Kunstkritiker und Kurator der Freud-Retrospektive 2010 im Centre Pompidou. „Er hat auch kaum Bücher seines Großvaters gelesen", so Feaver.

Anti-psychologisch und zugleich körperbesessen war auch die Malerei Francis Bacons (1909-1992), mit dem Freud eine tiefe Freundschaft verband. 1951 lernten sie sich kennen. Im selben Jahr malte Bacon sein erstes Porträt. Es zeigt Lucian Freud, gespenstisch, doch in nüchterner Haltung aus einer Türöffnung tauchend. In einigen seiner späteren Triptychen machte Bacon den Jüngeren ebenfalls zum Akteur. Auch Freud porträtierte den Kollegen, den er zeitlebens verehrt hat. In den 70ern soll sich das Verhältnis gelockert haben.

William Feaver nimmt an, dass Bacon mit seiner eigenen Arbeit zunehmend unzufrieden war, während der Jüngere dem Zenit seiner Karriere zustrebte. In England wird Freud heute in einem Atemzug mit Bacon genannt. Zuletzt galt Lucian Freud nicht nur Kennern als bedeutendster lebender figurativer Maler Großbritanniens. Mittwochnacht ist Lucian Freud im Alter von 88 Jahren in seinem Haus in London gestorben.