Karl Otto Götz

Der Pionier des Informel wird 99

Düsseldorf (dpa) – Karl Otto Götz ist ein Jahrhundertkünstler. Welche historischen Bewegungen und Brüche hat dieser Mann, den alle kurz K.O. Götz nennen, nicht gesehen und künstlerisch begleitet? Geboren wurde er kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges 1914, unter den Nazis hatte Götz wegen seiner Vorliebe für Abstraktes Malverbot. Nach dem Zweiten Weltkrieg machte er die deutsche Kunst mit seiner formlosen abstrakten Malerei wieder international hoffähig. Götz malte die Wende, und seine Bilder hängen heute noch in den Machtzentren der Bundespolitik.

   Am 22. Februar wird Götz 99 Jahre alt. Er ist damit wohl der älteste noch lebende große Maler Deutschlands. Und er malt immer noch, auch wenn er kaum noch sehen kann. Sein «Auge» ist seine Frau Rissa, selbst Künstlerin, mit der Götz seit 1965 verheiratet ist. Seit vielen Jahren schon leben Götz und Rissa in Wolfenacker im Westerwald (Rheinland-Pfalz).

   Mit Rissas Unterstützung malt Götz heute noch in seiner besonderen Rakel-Technik, die zu seinem Markenzeichen wurde. Dafür braucht er Pinsel, Farbe, Kleister und den Rakel - den Abstreifer der Handwerker. Trotz der schweren Sehbehinderung zieht er ihn wie früher in Sekundenschnelle über die mit Kleister versehene Leinwand. «Früher hat er beim Schnellmalen auch die Augen geschlossen», sagt Rissa (74). Kennengelernt hatten sich beide an Kunstakademie Düsseldorf, wo der gebürtige Aachener Götz 20 Jahre bis 1979 Professor war. Zu seinen Schülern zählten heute weltbekannte Künstler wie Gerhard Richter und Sigmar Polke.

 «Abstrakt ist schöner»

   «Abstrakt ist schöner» lautete das künstlerische Lebensmotto des Biennale- und documenta-Teilnehmers. Götz' gestische Bilder mit ihren dynamischen Farbströmen, Wirbeln und Schlieren wirkten wie «aufgepeitschter Raum», so formulierte es sein Freund Edouard Jaguer schon 1954. «Meine Malerei lebt vom Rhythmus meiner Pinselzüge und Rakelschläge», sagte Götz in einem Interview. Wie die amerikanischen Künstler des «Action painting» arbeitete Götz auf dem Boden. Die amerikanische Kunst des abstrakten Expressionismus sei für ihn eine «Offenbarung» gewesen, sagte Götz. Später fertigte er auch Stahlreliefs und Holzvögel an. Sein abstrakter Rasterfilm von 1960 hatte Einfluss auf Videokünstler wie Nam June Paik.

   In Westdeutschland bildeten Götz, Bernard Schultze, Otto Greis und Heinz Kreutz die Keimzelle des Informel. Götz gab bis 1953 auch die Zeitschrift «Meta» für Kunst und Poesie heraus und war Mitglied der internationalen Künstlergruppe CoBrA. Angesichts der konkurrierenden großen Kunstströmungen aus den USA wurde die deutsche informelle Malerei häufig aber stiefmütterlich behandelt.

Jeder Tag ist kostbar

   Bekannt ist Götz' monumentale Serie «Jonction III», die er als Reaktion auf den Tag der Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 malte und die heute zur Kunst des Bundestags gehört. Auch der Zweitsitz des Bundespräsidenten, die Villa Hammerschmidt in Bonn, ist mit Bildern von Götz ausgestattet. Zwar nahm Götz häufig Bezug auf historische Ereignisse, doch ein politischer Maler ist er nach Worten seiner Frau nicht. Kunst sei seiner Ansicht nach nicht politisch wirksam, sagt Rissa. Götz habe sich auch von keiner politischen Richtung vereinnahmen lassen. «Er ist immer unabhängig geblieben.»

   In jüngster Zeit gerät die Kunst des Informel, die keine festen Kompositionsregeln kannte, wieder verstärkt ins Bewusstsein. Zum 100. Geburtstag richtet die Neue Nationalgalerie in Berlin ab Mitte Dezember für K.O. Götz eine Retrospektive aus. «Jeder Tag ist kostbar», sagt Rissa. «Er ist mein Leben.»