Der Preis der Nationalgalerie in Berlin muss Lehrgeld zahlen

Nie war es professioneller als 2009. Die beiden Jurys international besetzt, die Gala moderiert von Jasmin Tabatabai. Die Botschaft: In der Kunsthauptstadt Berlin schillert auch die Nachwuchsförderung, und das nicht bloß wegen der 50 000 Euro für den Sieger. Doch gerade deshalb scheint es, als würden ein paar aufstrebende Schachspieler von einer Horde Boxansager in den Ring geschickt.

Die Ausstellung selbst – untergebracht in einem zu Recht vergessenen Zwischengeschoss des Hamburger Bahnhofs – gestaltet sich erstaunlich trocken. Dass die Kuratorenlieblinge Keren Cytter, Omer Fast, Annette Kelm und Danh Vo auf ähnliche Weise erklärungsbedürftig oder im System vernetzt sind, spricht gar nicht gegen sie. Aber soll die Veranstaltung tatsächlich Popularisierung vermitteln, tragen die Nominierten wenig dazu bei.

Danh Vo fügt mit seinem Sammelsurium an heimatkundlichen Objekten aus Vietnam einer andächtigen Betroffenheit kaum etwas hinzu. Der Rhododendron, zu besichtigen auf einem Flachdach, ist also ebenfalls ausgewandert. Es handelt sich jedoch um einen Irrtum, zerlegte Kronleuchter und Folkloredecken könnten Geschichten und Geschichte erzählen, da muss schon mehr kommen.

Vor einer Weile wäre dies vielleicht eine gute Kunstvereinsschau gewesen. Hier aber geht es darum, herausragende Positionen von unter 40-Jährigen zu zeigen. Bis zu diesem Alter haben Danh Vo und Annette Kelm noch vier Jahre Zeit – man hätte sie ihnen gern gegeben.

Kelm findet sich längst in internationalen Einzelausstellungen wieder, ihre Fotografien üben auf bildgeschultes Personal – Kuratoren, Kritiker, Künstler – eine schwer zu beschreibende Faszination aus. Wie schwer, kann in Texten über ihr Werk nachgelesen werden. Doch nur ein einziges neues Bild in der Ausstellung, „Venice Zurich Brussels“, verfügt über die visuelle Kraft des Cowboys mit Fächer, mit dem sie so erfolgreich wurde. Beim Rest verhält es sich wie bei der Porträtserie „Michaela, Coffee Break“: Teils in Schwarz-Weiß, teils in Farbe, sind sechs kaum unterschiedliche Aufnahmen unregelmäßig gehängt: Die Beschwörung eines völlig witzlosen Geheimnisses, und auch der Titel wirkt wie ein hüstelnd korrekter Scherz.

Keren Cytter, Jahrgang 1977 und eigentlich begabt fürs Absurd-Komische, lässt echte Fälle gescheiterter Mord- und Selbstmordversuche nachspielen: Blutige Fußsohlen in zersplittertem Glas, zur Schau gestellte Autoaggression – so viel Pathos erinnert an Kurzfilmfeste in Studentenstädten. Gerade die jungen unter den vier erscheinen noch jünger als sonst, als hätten sie ihre Meis­terstücke irgendwo anders abgeliefert, nur nicht dort, wo alles doch so groß und wichtig sein soll.
Einzig Omer Fasts dreiteilige Videoinstallation „Nostalgia“ über die Erlebnisse eines westafrikanischen Flüchtlings präsentiert sich homogen und autark. Fasts Thema: die Darstellung von Geschichte im Spielfilm, die Austauschbarkeit von Dokumentation und Fiktion. In gekonntem Wechsel von wirklicher Schilderung, Inszenierung und disparatem Material entsteht eine manipulative und zugleich analysierende Erzählung. Sie wurde zur besten Arbeit gekürt. Dieses Mal ist es kein Zufall, dass der Älteste den Preis erhalten und verdient hat.


Hamburger Bahnhof, Berlin, bis 3. Januar 2010