Devra Freelander

Der Tod einer Künstlerin wird zum Fanal gegen verfehlte Verkehrspolitik

Devra Freelander (1990-2019) auf dem Times Square in New York
Foto: Walter Wlodarczyk, courtesy Times Square Arts

Devra Freelander (1990-2019) Anfang dieses Jahres auf dem Times Square in New York

Vergangene Woche wurde Devra Freelander in New York mit ihrem Rad von einem Lastwagen überrollt. Nach dem Unfalltod der Künstlerin, die sich in ihren Arbeiten mit dem Klimawandel "aus ökofeministischer Perspektive" auseinandersetzte, fordern Aktivisten eine gerechtere Mobilitätspolitik

Am Dienstag veröffentlichte das Statistische Bundesamt in Wiesbaden seine jährliche Unfallstatistik: In Deutschland sind im vergangenen Jahr 445 Menschen tödlich auf einem Fahrrad verunglückt, 63 mehr als 2017 und die höchste Zahl seit 2009. Die Städte werden voller, der Rad- und Autoverkehr nimmt zu (derzeit sind 46 Millionen Autos in Deutschland gemeldet). Stadtplaner und Ämter kennen zwar längst Lösungen, aber die Politik reagiert zögerlich - während weiter Radfahrer auf den Straßen sterben.

Nicht nur in Deutschland wird über eine sicheres und gerechteres Verkehrsmanagement diskutiert, nicht nur hierzulange ist die Politik weiterhin auf das Auto fixiert. In New York sind in der vergangenen Woche drei Menschen tödlich mit dem Rad verunglückt. Eine davon war Devra Freelander - eine Künstlerin, die sich in ihren Arbeiten ausgerechnet mit der Verteilung von öffentlichem Raum und umweltpolitischen Themen auseinandergesetzt hat. In Reaktion auf den Tod der 28-Jährigen hat Bürgermeister Bill de Blasio jetzt einen Notstandsplan zur Sicherheit von Radfahrern ausgerufen: "Was wir in den letzten Wochen erlebt haben, ist nicht akzeptabel. Wir werden alles tun, um das zu stoppen", sagte er in einem TV-Interview. Er versprach, die Präsenz von Polizisten an Radwegen zu verstärken.

Mangelnde Verkehrssicherheit trotz Präventionsmaßnahmen

De Blasio hatte 2014 den "Vision Zero"-Plan ausgerufen, ein Programm für mehr Verkehrssicherheit, angelehnt an die gleichnamige präventive Strategie aus Schweden, die in den 90ern entwickelt wurde und heute an vielen Orten in der Welt angewendet wird. Die 2018 inkraftgetretenen Maßnahmen sehen in New York unter anderem höhere Strafen für Verkehrsdelikte vor, eine Drosselung der Höchstgeschwindigkeit, mehr Videoüberwachung und neue Slow-drive-Zonen vor. 

New Yorker Rad-Lobbyisten indes kritisieren, dass nicht genug getan werde, um die Pläne tatsächlich umzusetzen und fordern weitergehende Initiativen. In der vergangenen Woche hielten Aktivisten, Anwohner und Freunde in East Williamsburg in Brooklyn, am Ort des Unfalls von Devra Freelander, eine Mahnwache für die Künstlerin ab und stoppten LKWs der Zementfabrik, deren Fahrer in den Unfall verwickelt war. Einige Teilnehmer lieferten sich emotional aufgeladene Wortgefechte mit Lastwagenfahrern.

Die Arbeit und der Tod von Devra Freelander erinnern daran, dass in den Städten der Gegenwart die Privilegien in Sachen Ressourcen und Mobilität nach wie vor ungerecht verteilt sind. Selbst in einer Stadt wie New York, die nie eine Automotive city war und deren Einwohner den öffentlichen Verkehr intensiv nutzen, besitzen 45 Prozent der Haushalte ein Auto. Solange der Verkehr von Auto- und Radfahrern nicht konsequent durch sichere Radwege - etwa durch kreuzungsfreie Hochradwege - voneinander abgekoppelt wird, sind Radfahrer die gefährdetsten Verkehrsteilnehmern - obwohl sie doch am meisten zur emissionsfreien und klimaneutralen Mobilität beitragen.

Devra Freelander hat sich mit ihren Skulpturen und Videoarbeiten mit umweltpolitischen Fragen auseinandergesetzt, "aus einer ökofeministischen Perspektive", wie sie selbst schrieb. Im März war auf dem Times Square in New York die Skulptur "Eventual Artifact" aus, eine Gemeinschaftsarbeit mit Gracelee Lawrence. Die beiden Künstlerinnen riefen damit die Betrachter auf, "ihre Wertesysteme zu hinterfragen und die Bedeutung von Bequemlichkeit in unserem anthropogenen Zeitalter neu zu bewerten."

Die zylindrische, menschenhohe Skulptur "Eventual Artifact" verstanden die beiden als Bohrkern: eine Bodenprobe aus dem Times Square der Zukunft. Auf der Säule abgebildet und darin eingeschlossen waren Gegenstände wie Plastikflaschen, Handys, Kaffeebecher, "technokapitalistische Artefakte", die das individuelle Leben ihrer Konsumenten lange überleben. Devra Freelander sagt in einem begleitenden Video, dass man am Times Square so nah wie kaum an einem anderen Ort in Manhattan am Felsgestein ist, auf dem New York erbaut ist, "und doch ist man so weit entfernt davon".


Die Idee, Konsumprodukte wie Artefakte zu präsentieren, hat Devra Freelander auch in anderen 3D-Druck-Skulpturen verfolgt, in denen etwa ein iPhone wie in Mineralgestein eingeschlossen ist. Immer wieder ging es ihr auch um den "verlorenen Kontakt" zur Natur, etwa wenn sie in ihrer Videoarbeit "Touching Antarctica" mit dem Cursor über Eisberge streichelt oder in "How to love a Landscape" tatsächlich Felsen umarmt.


Die Diskussion um einen gerechteren Verkehr gehen indes auch diese Woche weiter. Am Dienstagabend demonstrierten eintausend Menschen mit einem "Die-In" am New Yorker Washington Square Park für sichere Verkehrwege für Radfahrer, indem sie sich mit ihren Rädern auf die Straße legten. An Anspielung auf die Wortgefechte mit Truckern erinnerte eine Rad-Aktivistin daran, das leichtsinnige Fahrer nicht das Kern des Problems sind, sondern "ermutigt werden durch eine schlecht entwickelte und ungerechte Verkehrspolitik, die Maßnahmen lax durchsetzt."