Diamond Stingily in München

Eingeschlossen und ausgesperrt

Anhand ihrer eigenen Biografie setzt sich die US-Künstlerin Diamond Stingily im Kunstverein München mit Zugangsbarrieren, strukturellem Rassismus und der Verwobenheit von Klassenzugehörigkeit und Gewalt auseinander

In ihrer ersten europäischen Einzelausstellung simuliert Diamond Stingily den Ausschluss aus der Institution. Auf der Innenseite vor den weit über Augenhöhe platzierten Fenstern des Münchener Kunstvereins hat die US-Künstlerin spitze Eisengitter angebracht, die für gewöhnlich an der Außenfassade von Gebäuden vor Einbruch schützen. Unterhalb der Fenster erzeugt Stingily einen alternativen Innenraum: Von horizontal an der Wand befestigten Metallstangen gehalten, ragen fünf abgenutzte Türen in den Ausstellungsraum hinein. Die Rechtecke aus Holz wirken fragil, eine von ihnen ist notdürftig mit einem Brett verriegelt, bei den meisten fehlen die Türschlösser ganz. An jeder von ihnen lehnt ein abgegriffener Baseballschläger, wie Stingilys Großmutter Estelle ihn stets zur Verteidigung gegen Eindringlinge neben ihrer Haustür positionierte.

Die Installation verweist auf die kollektiven Elemente jener persönlichen Erinnerung: Hinter der schmalen weißen Eingangstür lauern die gleichen Gefahren wie hinter der verdreckten mit dem vergitterten Guckloch, und sie drohen, an der unzulänglichen Barriere vorbei ihren Weg ins heimische Umfeld zu finden. In unterprivilegierten Nachbarschaften wie jener, in der Stingilys Großmutter zu Hause war, ist Gewalt angesichts jener Gefahren häufig die einzige Bewältigungsstrategie. "Gewaltfrei zu leben", sagt Stingily, "halte ich für eine sehr privilegierte Sache."

Strafe als Abhärtung

Auch der Titel der Ausstellung - es ist die erste der neuen Kunstvereinsdirektorin Maurin Dietrich - verweist auf die subtile Omnipräsenz von Gewalt, die Stingily als Kind erlebte. "Wall Sits" sind Fitnessübungen, bei denen man seinen Rücken mit angewinkelten Beinen gegen die Wand drückt und ein wenig so aussieht, als säße man auf einem unsichtbaren Stuhl. Die Künstlerin und ihre Geschwister mussten sie häufig zur Strafe ausüben – eine Sanktionierung, die zwar wehtat, dabei aber auch die Muskelkraft der Kinder stärkte und sich als Abhärtung gegen ein bedrohliches Außen deuten lässt.

Stingily stammt aus einer athletischen Familie, zwei ihrer Brüder spielen in der Football-Profiliga NFL. Für viele afroamerikanische Jugendliche aus einkommensschwachen Umfeldern verheißt Leistungssport eine Chance auf College-Stipendien und beruflichen Aufstieg. Gleichzeitig werden Spitzensportler konstant evaluiert und beobachtet und stehen zudem in einem ständigen Kampf mit sich selbst. Mit dieser Thematik setzt sich Stingily in "In the middle but in the corner of 176th place" auseinander, einer raumgreifenden Installation aus massiven Archivregalen, die mit hunderten Trophäen verschiedener Sportarten beladen sind.

Trügerische Aufstiegsnarrative

Die meisten der Pokale muten an wie billige participation trophies: kleine Volleyballerinnen, Quarterbacks und Ballerinas thronen auf von bunter Glitzerfolie umhüllten Säulen, darunter goldene individuell beschriftbare Plaketten. Die Schrifttafeln erzählen von Kampf und Erschöpfung, von strukturellen Hindernissen und den trügerischen Verheißungen neoliberaler Aufstiegsnarrative. "I did the best with what I had" steht da, "I don't know why but sometimes it just be like that" und "there is no getting out of this mess and this is to remind you."

Es sind Fragmente eines inneren Monologs, der Stingily als Künstlerin ebenso vertraut ist wie ihren Spitzensportler-Brüdern. "You can't get there on your own but you want to imagine you can" bilanziert sie und setzt dem einzelkämpferischen Kreislauf aus Schmerz und Überwindung eine Alternative entgegen: "It's not about the winning, it's in the giving too."

Die Ausstellung schließt mit den "Double Dutch Ropes", aus Telefonschnüren geknüpfte Seile, die Stingily früher zum Seilspringen verwendete. Stingily kehrt in ihrem Werk stets zu den formativen Jahren ihrer Kindheit zurück. In ihrem Gedicht "I am Tired" erzählt sie davon, wie sie als Fünfjährige von einem weißen Mann mit rassistischen Stereotypen beschimpft wird. "I don’t care how many books a person reads or how many friends of color a person has. The person will never understand, never see the second sight or the double consciousness", schreibt sie.

Nachempfinden kann man die Alltagserfahrungen marginalisierter Personen nicht. Indem Stingily sie in punktgenaue Bilder übersetzt, macht sie vielmehr die systemischen Strukturen von Gewalt und Ausgrenzung sichtbar, die ihnen zugrundeliegen.