Bildband zum "America's Cup"

Die älteste Regatta der Welt

Seit über 170 Jahren treiben Wind, Technik und Millionen den ältesten Segelwettbewerb der Welt an. Der neue Taschen-Bildband "America's Cup" erzählt seine Geschichte in spektakulären Bildern und detailreichen Chroniken

Die Taschen Collector's Edition No. 176 "America’s Cup. A History From 1851 to Today" besticht durch spektakuläre Wettkampf-Fotografien unglaublicher Segelyachten. Schön und elegant anzuschauen – sind sie doch nur auf maximale Schnelligkeit ausgelegt. 

So wie der Schoner "America", den eine Gruppe New Yorker Geschäftsleute 1851 über den Atlantik schickte, um am 100-Guinea-Cup-Rennen des Royal Yacht Squadron um die Isle of Wight teilzunehmen. Queen Victoria hatte Seeleute aus aller Welt eingeladen, gegen die besten Segler der britischen Flotte anzutreten. Die "America", das einzige ausländische Boot, gewann mit deutlichem Vorsprung vor 14 britischen Booten. Mit diesem Erfolg war die Kalkulation des New Yorker Konsortiums aufgegangen, die gesetzten Wetten deckten ihre Kosten. Die vom Londoner Juwelier Garrard & Co geschaffene Trophäe, eine majestätische Silberkanne, reiste nach New York. 

Man dachte daran, sie für Erinnerungsmedaillen einzuschmelzen, doch 1857 übergaben die Eigner der "America" den Pokal mit der Schenkungsurkunde an den New York Yacht Club (NYYC). Die "Deed of Gift" war die Geburtsurkunde des international prestigeträchtigsten Segelwettbewerbs, nach dem siegreichen Boot "America's Cup" genannt. Dessen Regeln erinnern, wie es im Band heißt, "an ein Gentleman-Duell aus dem 18. Jahrhundert. Eine Partei darf die Waffen wählen, die andere entscheidet, wie viele Schritte sie zurücktreten, und beide müssen sich darauf einigen, einen schwarzen Frack zu tragen und sich gegenseitig zu respektieren." 

Minutiös recherchiert, faktenreich aufbereitet, exzellent gelayoutet

Der Cup wird als Herausforderungspokal vergeben, wobei nicht Einzelpersonen, sondern Yachtclubs als Titelverteidiger und Herausforderer auftreten. Ihre Boote müssen in den jeweiligen Ländern gebaut werden. Ansonsten hat der Titelverteidiger freie Hand, eine Regatta nach seinen Wünschen zu organisieren – zu einem Zeitpunkt und an einem Ort seiner Wahl –, solange er die Zustimmung des gegnerischen Teams hat. Die Kanne blieb dann 132 Jahre beim NYYC, was ein breiteres Interesse an der Regatta nicht beförderte. Erst 1983 wurde der Club bei der 26. Austragung des Cups von der "Australia II" des Royal Perth Yacht Club geschlagen. Die Briten waren mehrfach Herausforderer, haben die Trophäe aber bislang nie gewonnen.

Die minutiös recherchierten, faktenreich aufbereiteten und exzellent gelayouteten Bilder der 176. Collector's Edition lassen die Rennen sowie das Leben an Bord und an Land wieder aufleben. Spannend sind die Fotografien von den Werften und den technischen Neuerungen im Bootsbau, wobei deutlich darauf geachtet wird, dass die Aufnahmen nicht zu viel verraten. Das Foto vom Transport der "Alinghi", wie sie an einem Hubschrauber über die Alpen fliegt, wurde berühmt. Nur so war sie aus der Schweizer Werft ans Mittelmeer zu verfrachten. Die Ausgabe glänzt mit seltenem Archivmaterial, unveröffentlichten Fotografien und Experten- und Insiderwissen von Bootsbauern, Segel-Journalisten und -Fotografen, darunter Teilnehmer und Gewinner des America's Cup. 

In der Auflistung aller bislang ausgetragenen 37 Wettbewerbe mit kurzen Texten zum jeweiligen Verlauf, Angaben zu beispielsweise Bootstyp und Skipper werden auch die weiteren Teilnehmenden aufgeführt, unter denen der Herausforderer ermittelt wird. Es werden die Yachtclubs, die Eigner und die Skipper vorgestellt und die Entwicklungen des Wettbewerbs und der Yachten beleuchtet. Nicht zuletzt sind sämtliche Gewinnerboote in präzisen Zeichnungen porträtiert, mit Daten zu Länge, Verdrängung, Segelfläche, Material, Bootsbauer, Designer und Mannschaftsstärke. 

Die Grenzen des Möglichen noch ein wenig weiter hinausschieben

Erstaunlicherweise hatte das neuseeländische Gewinnerboot 2024 eine achtköpfige Crew. Dabei heißt es in den seit 2021 angewendeten Regeln zur neuen Bootsklasse AC75, einer Tragflächen-Einrumpfyacht: "Es müssen elf Besatzungsmitglieder anwesend sein (sofern diese Zahl nicht durch einen Unfall reduziert wird), die alle Menschen sein müssen." In Zeiten von "The Donald", der der Crew, die den Cup 1987 wieder aus Australien zurückholte, eine Konfettiparade auf der 5th Avenue spendierte, würde man eher erwarten, dass alle Männer sein müssen. Aber nein, sie müssen human beings sein. Interessanter Hinweis, wie weit der Yachtsport in der technologischen Entwicklung in Führung liegt.

Von Anfang an war die älteste Segelregatta der Welt eine Materialschlacht, daran erinnert etwa der Blick auf die 64-köpfige Crew der siegreichen "Reliance" 1903. Die von Cornelius Vanderbilt, William Rockefellers und anderen Schwerreichen finanzierte Yacht war die größte je für den America's Cup gebaute. Beim folgenden Cup trat der NYYC mit einer neuen Yacht an, und das halten Verteidiger und Herausforderer bis heute so. Inzwischen ist, was man gemeinhin für eine besonders schnittige Segelyacht hält, eher ein Labor, in dem ganze Stäbe von Wissenschaftlern und Ingenieuren versuchen, die Grenzen des Möglichen noch ein wenig weiter hinauszuschieben. Entsprechend hoch sind die Kosten. Yacht und Kampagne des Team INEOS Britannia, des letzten Herausforderers im 37. America's Cup 2024 in Barcelona, verschlangen 180 Millionen Euro. 

Zu ihrer Zeit dürfte die "Shamrock" nicht viel weniger gekostet haben. Eine doppelseitige Fotografie von 1899 zeigt die Yacht vor dem Wind, kaum mehr sichtbar unter ihrer Takelage aus Groß- und Topsegel, Fock, Stagsegel, Klüver und einem riesigen Spinnaker. Auf die großen Yachten der Anfangszeit folgte in den 1930er-Jahren die J-Class und nach dem Zweiten Weltkrieg die 12-Meter-Klasse. Deren Boote waren kleiner, leichter zu segeln und viel erschwinglicher im Bau. Nun nahmen mehr Teams an den Challenger Series teil, und mit dem Wechsel des Cups nach Australien 1983 und nach Neuseeland 1995 wuchs das Interesse der internationalen Öffentlichkeit merklich. Eine Entwicklung, die das Marketing von Louis Vuitton bestärkte. Die Luxusmarke wurde im selben Jahr Sponsor des Louis Vuitton Cup, dem offiziellen Herausforderungsturnier.

"Gottesanbeterin auf Steroiden"

153 Jahre nach dem 100-Guinea-Cup fand das Wettsegeln erstmals wieder in Europa statt, weil das Schweizer Boot "Alinghi" das Team Neuseeland besiegt hatte. Zuschauerfreundlich war der Kurs relativ nahe ans Ufer gelegt. Und mit dem United Internet Team war in Valencia 2007 das erste deutsche Boot im Rennen. Interessanter ist aber eine Anekdote, die nicht im Taschen-Band, sondern in der "taz" steht: Es waren zwei Berliner dabei, die den America's Cup schon gewonnen hatten. Jochen Schürmann, Sportdirektor der "Alinghi", der an Bord der Yacht 2003 siegreich war, und Mickey Ickert im BMW Oracle Racing Team gehörte als Segelmacher im Team Neuseeland gleich zweimal, 1995 und 2000, zu den Gewinnern. Während Schürmann vor 1989 auf dem Müggelsee zu segeln lernte, war Mickey Ickerts Revier der Tegeler See. 

Die Segel sind als Hauptantriebskraft natürlich von entscheidender Bedeutung. 2013 waren es in den Katamaranen der AC72-Klasse starre Wing Sails aus Kohlefaserverbundstoffen, die nach den Rennen mit dem Kran aus dem Boot gehoben werden mussten. Die Boote waren mit sogenannten Foils bestückt, die sie schon bei mäßigem Wind aus dem Wasser hoben, so dass sie zu fliegen schienen. Mit ihren Schutzhelmen, gepolsterten Schwimmwesten mit Lichtern und persönlichen Ortungsgeräten wirkten die Segler wie maritime Robocops. Sie trugen Sauerstoffflaschen und Spezialmesser bei sich, um sich befreien zu können, falls sie sich unter dem Boot verfangen sollten. 

Seit 2021 ist die Bootsklasse AC75 als Einrumpfyacht mit doppelten Foil-Armen konzipiert. Diese erheben sich auf beiden Seiten aus dem Wasser und sorgen für Auftrieb und Stabilität. Der mehrfache Cup-Gewinner Jimmy Spithill erkannte in der Yacht, die extreme Geschwindigkeiten von über 50 Knoten (knapp 100 km/h) erreicht und maximal wendig ist, da sie ohne Kiel unterwegs ist, eine "Gottesanbeterin auf Steroiden". Das Manövrieren erfordert allerdings höchste Präzision mithilfe einer computergestützten Steuerung. Die neuen Softsails sind flexibel und werden wie klassische Segel gesetzt, getrimmt und gerefft. Dabei wirkt das zweilagige Großsegel wie ein flexibler Flügel. 

Materialschlacht auf dem Wasser

Vom zweimaligen neuseeländischen Cup-Gewinner Sir Peter Blake stammt der Satz: "Der America's Cup wurde zu dem, was er ist, weil er so schwer zu gewinnen ist". Aber bei all seiner Faszination musste dem als Umweltschützer bekannten Sonderbotschafter des UN-Umweltprogramms bewusst sein, dass der Wettbewerb in seiner ganzen Anlage weder nachhaltig noch umwelt- und klimafreundlich ist. Blake wurde 2001 während einer wissenschaftlichen Expedition im Amazonas-Delta von Umweltkriminellen getötet. Die Rahmenbedingungen für die nächsten Ausgaben des America's Cup sehen erstmals mehr Nachhaltigkeit, ein limitiertes Budget und einen strafferen Zwei-Jahres-Rhythmus vor. 

Passend zur Materialschlacht auf dem Wasser gibt sich auch die in Zusammenarbeit mit Louis Vuitton entstandene Collector's Edition als buchtechnische Materialschlacht zu erkennen. Der Verlag bleibt dabei allerdings eher auf der Seite von Tradition und Herkunft, weshalb Marc Newson dem Band einem Bezug aus Baumwollsegeltuch samt einem speziell angefertigten Louis-Vuitton-Verschluss verpasst. Man kann sich aber auch an der etwas kleiner dimensionierten unlimitierten Ausgabe erfreuen, die später im Herbst erscheinen soll.