Auf "Akt im Gegenlicht" von 1908 gleitet das Licht über einen Frauenkörper, die vibrierenden Farben scheinen zu glühen. Die Hitze des Sommers, die der Postimpressionist Pierre Bonnard auf der nackten Haut sah, ist heute noch spürbar. Marthe, ursprünglich eine Seidenblumen-Herstellerin aus bescheidenen Verhältnissen, die sich eine aristokratische Vergangenheit zulegte, räkelte sich bereits seit den 1890er-Jahren auf den Bildern des Sohns einer großbürgerlichen Pariser Beamtenfamilie. In rund einem Drittel von Pierre Bonnards 2000 Gemälden kommt sie vor, in meist intimen Situationen: beim Ankleiden, Baden, Frisieren.
Als der Künstler die gebürtige Maria Boursin 1925 heiratete, war sie schon 56 - und wirkte auf den Porträts immer noch wie das eigensinnige Mädchen von früher. Und dann gab es da noch Lucienne, die Ehefrau des Hausarztes. Auch sie wurde Pierres Geliebte. Aber Marthe wütete erst vor Eifersucht, nachdem sich seine Aufmerksamkeit auf die junge Kunststudentin Renée gerichtet hatte. Als Pierre Marthe doch noch heiratet, begeht Renée Selbstmord.
Was braucht man mehr für ein emotionales Künstlerdrama? Wobei der französische Regisseur Martin Provost, der mit dem Künstlerinnenporträt "Séraphine" bekannt wurde, nicht wirklich an den Liebeswirrungen interessiert ist, sondern die Sicht von Marthe auf ihre eigene, zu kurz kommende Kreativität betrachtet. Dabei geht er mit den biografischen Fakten eher nachlässig um, denn die historische Marthe Bonnard nahm gezielt Malunterricht und brachte es sogar unter dem Pseudonym Marthe Solange zu einigen Ausstellungen in Paris.
"Ihr Mann hat Sie zu einem Mythos gemacht"
In der Kunstgeschichtsschreibung wurde sie lange als launische und neurotische Muse abgestempelt, eine asthmakranke Kontrollsüchtige, die den Maler Bonnard auf dem Land festhielt. Erst in den letzten Jahren wurde ihre Rolle neu bewertet. "Ihr Mann hat Sie zu einem Mythos gemacht", sagt einmal eine Bewunderin im Film. Marthe rollt nur gelangweilt mit den Augen, überdrüssig der Konflikte, die sie als Frau an der Seite eines Malerrebellen durchleben musste.
Provost inszeniert sie in opulenten Bildern und prächtigen Kostümen gleichberechtigt zu Pierre. Das merkt man schon am französischen Titel "Bonnard, Pierre et Marthe", während das deutsche Pendant "Die Bonnards – Malen und Lieben" der Logik von konventionellen Künstlerfilmen folgt. Auf dem Land, wo das Paar erst in der Normandie und später an der Côte d’Azur in einer so anstrengenden wie innigen Symbiose lebt, herrscht ein Kommen und Gehen. Neben Kunstmäzenin Misia Sert, mondäner Inbegriff der Pariser Bohème, rudert Monet von Giverny mit dem Boot auf der Seine zum verwunschenen Landhaus der Bonnards.
Marthe verkriecht sich in dieser Idylle. Denn Pierres Pariser Künstlernetzwerk rund um Maurice Denis, Paul Sérusier und Édouard Vuillard, mit denen er die Gruppe "Les Nabis" gegründet hatte, kann sie nichts abgewinnen. Cécile de France spielt sie energiegeladen als hingebungsvolle Partnerin, die nackt durch den Garten rennt und Pierre dazu animiert, Naturerscheinungen in seine Kunst einfließen zu lassen, die in diversen Arbeitsszenen nicht zu kurz kommt. Spätestens mit dem Auftauchen der Rivalin Renée gerät aber die ohnehin fragile Beziehungs-Balance aus dem Takt. Pierre wünscht sich ein Leben zu dritt, die Frauen lehnen ab.
Der Status quo als unterschätzte Künstlerin
Immerhin löst seine Bildungsreise nach Rom, in Begleitung der neuen Geliebten, wohl aus dramaturgischen Gründen einen Kreativitätsschub bei Marthe aus. Die historische Vorbildfigur hatte zu diesem Zeitpunkt längst gemalt. Sie arbeitet wie im Rausch, was aber nach Pierres Rückkehr und Heirat nichts an ihrem Status quo als unterschätze Künstlerin ändert.
Ihr gelingt nicht, was eine Suzanne Valadon aus einer ähnlichen Konstellation heraus schaffte. Mit gerade mal 15 Jahren saß diese Malern wie Auguste Renoir oder Henri de Toulouse-Lautrec Modell und begann heimlich zu malen. Mit Erfolg: 1894 wurde die Autodidaktin in die Société Nationale des Beaux-Arts aufgenommen - als erste Frau überhaupt.