Museumsneubauten

Die Grenzen des Wachstums

Blauer Himmel über dem 2019 eröffneten Bauhaus-Museum in Weimar
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Blauer Himmel über dem 2019 eröffneten Bauhaus-Museum in Weimar

Größer, höher, weiter: Lange Zeit haben sich Museen einen Expansionskurs auferlegt, der in immer spektakuläreren An-, Um- und Neubauten seinen Ausdruck fand. Die Pandemie setzt diesem fragwürdigen Wettrennen ein vorläufiges Ende

Schon vor der Pandemie stagnierte das Wachstum: Laut des soeben von der Unternehmensberatung AEA Consulting veröffentlichten "Cultural Infrastructure Index" wurden 2019 weltweit 149 kulturelle Bauprojekte (Museen, Aufführungsstätten für darstellende Künste und Multifunktionshäuser) im Wert von 7,9 Milliarden Dollar fertiggestellt, 2018 waren es 8 Milliarden Dollar für 148 Projekte. Interessant ist der Blick auf die Bauvorhaben, die Kultureinrichtungen im vergangenen Jahr ankündigten: Hier fiel das Investitionsvolumen gegenüber 2018 von 8,7 Milliarden Dollar fast um die Hälfte auf 4,8 Milliarden Dollar. Corona wird den jahrelangen Trend zum An-, Um- und Neubau weiter bremsen – vielleicht sogar langfristig.

Zum einen verzögert die Virusgefahr Abläufe im Bau. Das Humboldt Forum in Berlin etwa begründet die Verschiebung seiner Eröffnung von September auf Dezember mit "Kapazitätseinschränkungen und Lieferengpässen auf der Baustelle". Einen weitaus größeren Effekt aber haben die Hygiene- und Abstandsregeln, denen sich öffentliche Einrichtungen jetzt fügen müssen, sowie ausbleibende Touristen. So leer war es in den Uffizien, im Louvre und in den Pinakotheken wohl noch nie. 

In den letzten Jahren kannten die meisten Museen hingegen nur Wachstum, was Besucherzahlen und somit auch Einnahmen angeht. Das Bedürfnis nach mehr Ausstellungsfläche ist daher auch verständlich gewesen, obwohl Bauen zu den größten Klimakillern gehört. Museen erlebten laut AEA-Index 2019 mit 94 abgeschlossenen Neubauten weltweit einen Sprung von 24 Prozent gegenüber 2018. Gegenüber anderen kulturellen Häusern, etwa Theatern, wuchsen Ausstellungsflächen also immer weiter. Die drei teuersten Projekte im Jahr 2019 waren The Shed und das Museum of Modern Art in New York, sowie das Nationalmuseum von Katar in Doha. 

Selbst in der Pandemie erfüllen Erweiterungen und Neubauten einen Sinn, weil sie mehr Platz bieten und somit Abstand gewährleisten. Doch haben die Museen ihre Investitionen auf die Annahme gegründet, dass Besucherströme weiter fließen. Wenn diese jetzt längerfristig wegbrechen, wird das Geld fehlen für grundlegendere Dinge. Die Kündigungen, die wir jetzt schon in Großbritannien und vor allem in den US-Museen sehen, haben zum Teil auch damit zu tun. 

Das Gute aus widrigen Umständen schöpfen

Dass weiter so stark wie bisher in Kulturbauten investiert wird, daran glaubt auch AEA Consulting nicht. So heißt es ihn dem Bericht, dass sich das Sozialverhalten langfristig ändern werde, und damit auch die Anforderung an öffentliche Räume. "In Verbindung mit der Möglichkeit einer Rezession und der Notwendigkeit, dass sich Kultureinrichtungen in diesem Moment der tiefgreifenden Selbstprüfung als relevante bürgerliche Institutionen erweisen müssen, ist es schwer zu glauben, dass wir in den nächsten Jahren keine tiefgreifenden Veränderungen in den Investitionen in kulturelle Infrastruktur auf der ganzen Welt erleben werden und dass Projekte, die derzeit auf dem Reißbrett stehen, nicht erneut geprüft und rigoros auf neue Erwartungen hin getestet werden."

Ist das eine schlechte Nachricht? Nicht nur. Die Bauwut der vergangenen Jahre zeugte einerseits von einem wachsenden Interesse an Kunst, gerade in Regionen, in denen sich eine neue selbstbewusste Mittelschicht herausbildet. Dennoch blieb der Eindruck eines irrsinnigen Wettrennens. Ein Museumsneubau oder -anbau muss heute aussehen wie sein eigenes 3D-Rendering: alterslos, clean, fit, auffällig. Und von einem Stararchitekt entworfen natürlich. Diese Fitness entspricht einer Investoren- und Erlebnisarchitektur, die unsere heutigen Städte prägt und durch die sich die Konkurrenz um Wohn-, Nutzung- und öffentlichen Raum weiter erhöht. Aber sollten Museen nicht eher ein Ort des Anderen sein, in dem Widerständgkeit geprobt und erlebt und ausgehalten wird? Jetzt ist die Zeit, über Alternativen nachzudenken.