Meisterin der Groteske

Die Künstlerin Nancy Kienholz ist tot

Mit ihrem Mann Edward entgrenzte Nancy Reddin Kienholz das Genre der Installation. Jetzt ist die Künstlerin im Alter von 75 Jahren in Texas gestorben

Wenn die Welt zu Bruch geht, kann man aus den Stücken und Scherben immerhin noch Kunst machen. Vielleicht lassen sich so die Installationen und Assemblagen beschreiben, mit denen das Ehepaar Nancy und Edward Kienholz seit den 70er-Jahren die Kunstwelt provoziert und gefesselt hat. Nachdem Edward Kienholz bereits 1994 an einem Herzinfarkt gestorben ist, ist nun auch seine Ehefrau laut ihrer Galerie in Houston, Texas, "den Komplikationen einer längeren Krankheit" erlegen. Sie wurde 75 Jahre alt.

Nancy und Edward Kienholz lernten sich 1972 auf einer Party in Nancys Elternhaus kennen und arbeiteten seitdem als Künstlerduo zusammen. Nancy, die ausgebildete Fotojournalistin war, ließ in den gemeinsamen Installationen surreale Elemente mit realen Ereignissen kollidieren und verdichtete soziale Zusammenhänge zu skurrilen Tableaus. Berühmt wurden bespielsweise die "Hoerengracht", bei der das Künstlerpaar maßstabsgetreu das Rotlichtviertel von Amsterdam nachbaute. "The Ozymandias Parade" von 1985 ist eine Mischung aus Militärparade, Zombie-Apokalypse und Jahrmarktmassaker. Die Werkserie "Volksempfängers", die aus Radios vom Westberliner Trödel besteht, die alle gleichzeitig ihre Nachrichten in den Raum plärren, katapultiert die Betrachter in die unerträgliche Gleichzeitigkeit der Welt.  

Zu laut, zu eng, zu ausufernd, zu schrottig

"Fast das ganze Schaffen der Kienholz beruht auf der Überschreitung", schrieb Ulf Erdmann-Ziegler 2011 für Monopol. "Es ist, von Fall zu Fall, zu laut, zu eng, zu groß, zu ausufernd, zu kleinteilig, zu direkt, zu schrottig, zu düster." Aber gerade diese Unbescheidenheit des Horror-Pop und die Entgrenzung der Medien Skulptur und Installation brennen sich ein und machen die Arbeit des Künstlerpaares so unverwechselbar. All die unheimlichen Interieurs in der zeitgenössischen Kunst, die Heimeligkeit, in der ganz nach Freud das Abgründige wohnt, umwabert ein wenig Kienholz-Geist.

Nancy Kienholz wurde als Tochter des Polizeipräsidenten von Los Angeles geboren, sodass man ihre Kunst, in der Autorität und Ordnung nur dazu da sind, um auf spektakuläre Weise zusammenzubrechen, durchaus als Rebellion verstehen. In den von Puppen und verstümmelten Mannequins bevölkerten Räumen tauchen auch die Themen Polizeigewalt, Abtreibung oder häusliche Gewalt auf.

Nancy Kienholz fand in den Installationen Platz für ihre Fotografie und bemühte sich verstärkt um feministische Themen. Edward Kienholz, der bereits ein bekannter Künstler war, als er Nancy kennenlernte, fühlte sich von seiner fünften Ehefrau so in seinem Schaffen bereichert, dass er in den 80er-Jahren alle Werke seit 1972 auf ihre beiden Namen umwidmete. Was heute vielleicht als gönnerhafte Geste verstanden werden kann, war damals eine seltene Demonstration von überwundenem Künstlerego. 

Verwandte Geister aus Deutschland

Bei ihrem Aufenthalt in Westberlin in den frühen 70er-Jahren, der durch den DAAD ermöglicht wurde, entdeckten sie in der deutschen Kunstgeschichte geistige Verbündete für ihre Vorliebe fürs Groteske. Vorreiter wie George Grosz, Kurt Schwitters, Daniel Spoerri oder Joseph Beuys sorgten dafür, dass das Kienholzsche Werk in Deutschland weniger skandalös gefunden wurde als in ihrer US-amerikanischen Heimat. Seitdem pendelte die Kienholzsche Patchwork-Familie mit fünf Kindern zwischen den Kontinenten. Die Retrospektive, die das Whitney Museum in New York 1995 ausrichtete, hatte in der Berlinischen Galerie ihre einzige europäische Station. 

Ihre Galerie L.A. Louver aus Los Angeles schreibt in ihrem Nachruf, dass Nancy Kienholz ihr Ruf als starrsinnige, feurige und unverblümte Person vorauseilte. Doch sei sie vor allem "äußerst loyal, liebevoll und großzügig gegenüber Familie und Freunden" gewesen. "Sie wird eine große Lücke hinterlassen, die nur vom Überdauern ihrer Arbeit gefüllt werden kann", heißt es in dem Statement.  "Ihr Werk mit Edward und ihr unaufhörlicher Einsatz für moralische Gerechtigkeit wird weiterhin ein Licht sein, dass uns durch die dunkelsten Zeiten führt."