Turner Prize 2021

Die längste Shortlist aller Zeiten

Zum ersten Mal in seiner Geschichte sind ausschließlich Kollektive für den renommierten Turner Prize nominiert. Auch die Praxis der Auserwählten geht weit über den klassischen Kunstbegriff hinaus

In den letzten beiden Jahren rückte die Verleihung des Turner Prize weniger die Preisträger in den Vordergrund als vielmehr die Frage nach der Sinnhaftigkeit von Kunstpreisen an sich. 2019 entschieden sich die vier Nominierten Lawrence Abu Hamdan, Helen Cammock, Oscar Murillo und Tai Shani dafür, den Preis zu teilen, um den Wettbewerbsgedanken solidarisch auszuhebeln. Und im Corona-Jahr 2020 entschied die Jury, statt der Preisgelder zehn Stipendien zu vergeben. 

Soeben wurde die Shortlist für den Turner Prize 2021 bekannt gegeben, und auch in diesem Jahr gibt es ein Novum: Zum ersten Mal in der Geschichte des Preises sind in diesem Jahr ausschließlich Kollektive nominiert, deren Mitgliederzahl so unüberschaubar ist, dass der Begriff Shortlist kaum mehr angemessen scheint. Doch die Auswahl markiert nicht nur eine Abkehr von der Idee des Einzelgenies, sie passt auch in eine Zeit, in der sich die zeitgenössische Kunst weniger mit formalen Kriterien beschäftigt als mit Fragen der Identität und lokalen Zusammenhängen.

Array Collective ist eine Gruppe von Künstlerinnen und Künstlern mit Sitz in Belfast, die gemeinsame Aktionen als Reaktion auf Themen, die Nordirland betreffen, durchführen. Ihre Arbeit umfasst Performances, Proteste, Ausstellungen und Veranstaltungen, die sich etwa gegen die gesetzliche Diskriminierung der Queer-Community richten, oder die Entkriminalisierung der Abtreibung in Nordirland unterstützen.

Esst mehr Austern!

Black Obsidian Sound System (B.O.S.S.) ist ein in London ansässiges Kollektiv, das in den Bereichen Kunst, Sound und radikaler Aktivismus arbeitet und die vorherrschenden Normen der Soundsystem-Kultur in der afrikanischen Diaspora in Frage stellt. Das Londoner Duo Cooking Sections erforscht mit Installationen, Performances und Videos die Grenzen zwischen Kunst, Architektur, Ökologie und Geopolitik. In ihrem Projekt "Climavore" fragen sie, wie wir in Zeiten des Klimawandels essen werden - und empfehlen unter anderem künstliche Austernriffe als Form nachhaltiger Wasserwirtschaft.

Gentle/Radical ist ein Projekt mit Sitz in Cardiff, das von Künstlerinnen, Gemeindearbeitern, Performerinnen, Glaubenspraktikern, Schriftstellerinnen und anderen betrieben wird, die sich für Kunst als Werkzeug für sozialen Wandel einsetzen. Project Art Works schließlich ist ein Kollektiv von Künstlerinnen und Künstlern mit Sitz in Hastings. Sie erforschen Kunst durch kollaborative Praxis mit, für und von Neurominoritäten – als solche gelten etwa autistische Menschen oder solche mit Lern- oder geistigen Behinderungen.

Der Turner Prize wird in der Herbert Art Gallery and Museum in Coventry verliehen. Die Ausstellung der Nominierten wird vom 29. September bis zum 12. Januar 2022 zu sehen sein, Wer die Auszeichnung bekommt, wird am 1. Dezember bekannt gegeben.