Max’s Kansas City

Die Seele der Kunst, um vier Uhr morgens

1966 war Mickey Ruskins Steakhouse Max’s Kansas City im Niemandsland der unteren Park Avenue das erste Etablissement Manhattans, das mit roten Samtseilen und unbestechlichen Türstehern unerwünschten Gästen den Eintritt verwehrte – Geschäftsleute in Schlips und Kragen hatten keine Chance. Der ehemalige Rechtsanwalt Ruskin hielt sich an Lawrence Weiners wohlfundierten Rat, sich zwei Menschentypen zur Kundschaft zu machen: Künstler, weil sie ihr gesamtes Einkommen vertrinken, und Fotomodelle, aus offensichtlichen Gründen.

Das Rezept funktionierte, und innerhalb kürzester Zeit avancierte das schlichte, schummerige Restaurant mit den roten Essnischen zum Epizentrum der New Yorker Avantgarde: Andy Warhol, dank seiner vorgeblichen Oberflächlichkeit mit dem Spitznamen Wendy Airhole bedacht, hielt im diabolischen aber schmeichelhaften Schein von Dan Flavins roter Neonskulptur im geheiligten Hinterzimmer Hof. Überhaupt war Kunst überall: ein komprimiertes Autowrack von John Chamberlain stand gleich neben dem Musikautomaten, Donald Judd, dessen Atelier ebenso wie Warhols Factory nur ein paar Häuser weit entfernt lag, hatte seine lange Latte von Rechnungen mit einer Skulptur bezahlt und Frosty Meiers schoss von seinem nahegelegenen Studio durch das Panoramafenster des Max’s einen Laserstrahl, der auf einem am Lautsprecher der Juke Box installierten Spiegel landete und so den Rhythmus als zitterndes Licht durch den verrauchten Raum tanzen ließ.

Gleich zwei Ausstellungen gedenken nun des legendären Ortes, wo in Warhols Worten in den 60er-Jahren „Pop-Art und Pop Life zusammentrafen“. Die Loretta Howard Gallery in Chelsea konzentriert sich auf Arbeiten, die bei Max’s ausgestellt waren, von Künstlern wie Robert Smithson, Robert Mapplethorpe, Carl Andre und von (den wenigen) Frauen wie Linda Benglis und Eva Hesse, die bei Max’s bis zum Morgengrauen um die Seele der Kunst rangen. Gleich um die Ecke präsentiert Steven Kasher ebenfalls berühmte, damals noch junge Gesichter aus dem wichtigsten Künstlerlokal jener hyperproduktiven Ära, die mit Pop und Earth-Art, Konzeptkunst, Minimalismus und Postminimalismus den Abstrakten Expressionismus als monolithische Bewegung der Nachkriegszeit ablöste.

Aber in der Galerie Kasher begegnet man auch Bildern von Musikern wie Mick Jagger, Janis Joplin, Patti Smith, Bruce Springsteen und Debbie Harry – sowohl Kellnerin als auch Stammkundin –, oder von schönen Nachtgestalten wie die elegische Candy Darling und andere Warhol Superstars wie Viva und Taylor Mead.

Der illustren Klientel, die sich zwischen acht Uhr abends und vier Uhr früh in den Räumen der einstigen Apotheke einfand, lagen Sex und Drogen mehr am Herzen als die mittelmäßige Küche des Hauses. Bilder der hellwachen Nachteulen mit ihren amphetamingeweiteten Augen waren im Unterschied zu Aufnahmen aus dem exhibitionistischen Studio 54 bisher allerdings kaum zu sehen: „Max’s war eine Oase, und niemand wollte bleibende Spuren hinterlassen”, erklärt Kasher, der auch den eben bei Abrams Image erschienenen Bildband “Max’s Kansas City: Art, Glamour, Rock and Roll” herausgibt. Doch glücklicherweise arbeitete sich Anton Perich vom  Kellner zum Insiderfotografen bei Max’s hoch und bescherte der neidischen Nachwelt eine einmalige Chronik aus New Yorks aufregendster Zeit.

Bis 16. Oktober in der Steven Kasher Gallery, New York, bis zum 30. Oktober in der Loretta Howard Gallery