MMK Zollamt, Frankfurt

Die Welt des Cyprien Gaillard

Es wummert. Der Boden vibriert. Die Vitrinen wackeln. Plötzlich ein Krachen - und eine gigantische Staubwolke steigt aus dem Schuttberg auf. Kein Ausstellungsraum könnte zurzeit passender sein für eine Schau von Cyprien Gaillard als das MMK Zollamt. Durch dessen große Fensterfront kann man beobachten, wie die Stadt Frankfurt ihr Technisches Rathaus abreißt, um es durch Rekonstruktionen der historischen Altstadt zu ersetzen. Und Cyprien Gaillard ist der momentan angesagteste Sprengmeister des Kunstbetriebs.

Zerstörung, Abriss und Bewahren sind seine Themen. Um spektakuläre Sprengungen live zu erleben und zu dokumentieren, fliegt der Franzose um die ganze Welt. Bruchstücke dieser Reisen sind nun in Frankfurt zu sehen.

Die Serie "Geographical Analogies" zeigt insgesamt 963 Polaroids historischer und moderner Gebäude, Gärten und Ruinen. Einzelne Schuppen der Wirklichkeit, deren analoge Struktur erst durch ihre rautenförmige Zusammenstellung in über hundert Vitrinen deutlich wird. Ein kambodschanischer Tempel, ein Wohnsilo in Kiew, ein Park in Paris. Grabsteine in Glasgow, Baltimore und Hong-Kong. Eine verwitterte Sphinx, ein im Sand versunkener Nazi-Bunker, das Seagram Building in New York. Golfplatz, Friedhof, Müllhalde. Auf formaler Ebene ist alles gleich. Nichts ist authentischer, einzigartiger, dauerhafter als das andere. Weder die Bauten, noch die Landschaft. Erst im ewigen Kreislauf von Entstehung und Verstörung erlangen sie Ewigkeit.

Insofern ist das Medium Polaroid dreifach gut gewählt. Einerseits gilt es im Zeitalter der digitalen Fotografie als Medium der Vergangenheit. Die Firma Polaroid hat die Produktion im August 2010 eingestellt, was Gaillard enorm unter Zeitdruck setzte, "Geographical Analogies" fertig zu stellen. Andererseits vermittelt das Polaroid-Foto durch die sofortige Entwicklung noch heute den Eindruck von Simulanität.

Trotzdem ist ein Polaroid ebenso wie Gaillards Motive nichts für die Ewigkeit. Daran kann auch die Musealisierung und Konservierung nach aktuellen Standards nichts ändern. Auch in den Vitrinen werden nach ein paar Jahren nur noch Schemen zu erkennen sein. Dauerhaft konserviert sind die Bilder nur im Katalog, der wie ein Atlas die Welt des Cyprien Gaillard in all ihren Facetten kartografiert.

Der 16mm-Film "Cities of Gold and Mirrors" von 2009 verfolgt das gleiche Ziel mit anderen Mitteln. Gaillard spiegelt hier die Ruinen der alten Maya-Tempel mit den riesigen Hotelkomplexen der mexikanischen Touristenmetropole Cancún. Die postmodernen Hotels imitieren antike Bauten und reichern sie mit Delfinbecken und dschungelähnlichen Hallen an. Im Film werden sie zur Kulisse für die exzessiven Spring-Break-Gelage der US-amerikanischen Jugend.

Betäubt von der basslastigen Musik des Films begegnet man neben der Fensterfront Gaillards neuester Arbeit, Indian Palace. Sie ist etwas lieblos an die Wand gelehnt, so als hätte ein Bauarbeiter nicht gewusst wohin damit. Auf ein Fenster aus dem Berliner Palast der Republik ist ein grinsender Indianer gedruckt, das Logo des amerikanischen Baseballteams Cleveland Indians, eine Anspielung auf den ständigen Wandel von Machtverhältnissen, Hierarchien und Bewertungen.

Draußen schwebt ein Betonteil mit gekappten Kabeln und Stahl vorbei. Die Presslufthammer setzen wieder ein. Eine Dialektik zwischen Innen und Außen, zwischen realer und Museumswelt, die Gaillard nicht besser hätte arrangieren können.

Cyprien Gaillard. MMK Zollamt. Noch bis 24.Oktober. Katalog 48 Euro.