"The Future Starts Here" in London

Die Zukunft in 100 Dingen

In London sponsert ein Autobauer eine Ausstellung über die Zukunft, Greenpeace protestiert dagegen und trotzdem passt beides genau zusammen

Es gibt Ärger. Gerade als die Presse vor dem Seiteneingang des Victoria & Albert Museum (V&A) im Westen Londons ankommt, um die Ausstellung "The Future Starts Here" zu besichtigen, fangen ungefähr acht junge Frauen in Latzhosen an, einen roten Kleinwagen auf den Vorplatz zu schieben. Die kurze Anspannung bei den Verantwortlichen legt sich schnell wieder, denn die Aktivistinnen protestieren vor dem Museum, aber nicht gegen das Museum oder gegen die Ausstellung, erklären sie, sondern gegen den Sponsor. Der heißt nämlich Volkswagen. "The Future doesn't Start Here" steht auf ihren Protestplakaten. "Es geht um Luftverschmutzung. Wir wollen, dass VW aufhört Dieselfahrzeuge zu produzieren", erklärt mir eine Sprecherin von Greenpeace. "Wir finden es ziemlich paradox, dass der Autobauer eine Ausstellung über die Zukunft fördert."

Schnell hinunter in die schneeweiß ausgekleideten unterirdischen Räume. Im vergangenen Sommer haben die Architekten um Amanda Levete 15 Meter tief unter dem Museum die Sainsbury's Gallery gebaut. Von innen sehen die Hallen ein wenig aus wie ein Raumschiff, eingegraben und vergessen, aber die sterilen Wände der Sainsbury's Gallery sind im gedimmten Licht nicht mehr zu sehen. Das Thema der Ausstellung ist die Zukunft, und die sieht ein wenig aus wie eine barocke Wunderkammer. Kurator Rory Hyde: "Wir wollen ein Bild, das sich von den gängigen Klischees unterscheidet, denn meistens sieht das aus wie ein Apple Store. Wir wollten ein wenig aufdrehen." Das bedeutet: Die Ausstellung ist bunt, voll, immersiv. Genau wie in einer Wunderkammer stehen hier wissenschaftliche Artefakte, Design, Architektur und ein wenig Kunst gleichberechtigt nebeneinander. Das alles ist zum Staunen gemacht. Hyde: "Können wir die Dinge in Dialog bringen und die Außenwelt in die Galerie bringen?" Ja, und zwar indem die 100 Objekte der Schau in eine Kosmologie eingepasst werden. Die Stufen dieses Ordnungssystems heißen "Self", "Public", "Planet", "Afterlife", vom Kleinen ins Große. Man kann sich gut vorstellen, wie all die Dinge der Ausstellung einmal Teil unseres Alltags werden. Sie werden gezeigt in Dioramen, wie Relikte untergegangener oder unverständlicher Kulturen.

"Wo hört der Mensch auf, und wo beginnt Technologie?" Eine Antwort hat Hyde auch nicht, aber: "Wir alle kennen das unangenehme Gefühl, wenn wir das Handy zu Hause vergessen. Wir fühlen uns unvollständig." Darum geht es in einem Abschnitt, "Self". Es gibt neuartige Hand- und Beinprothesen zu sehen, die fehlende Gliedmaßen ersetzen können. Aber ohnehin ist das Selbst schon jetzt Gegenstand einer permanenten Optimierung und Ästhetisierung, und ein Gerät steht besonders für die Annäherung von Mensch und Technik: Das iPhone, sagte Steve Jobs vor über einem Jahrzehnt, werde alles verändern. Recht hatte er, das Gerät ist zu Prothese geworden, dem Selbst ganz nahe. Als würde man erst jetzt erkennen, dass der Mensch unvollständig geboren ist.

Indes sieht die Zukunft in der Ausstellung auch ein wenig aus wie man sie sich schon immer vorgestellt hat. Am Anfang steht ein Roboter auf einem Sockel: Der "Berkeley Robot for the Elimination of Tedious Tasks", kurz BRETT. Er hat die Aufgabe, Handtücher zu falten und in einen Wäschekorb zu legen. Dabei scheitert er. Putzige Haushaltshelfer übernehmen die Arbeit, damit sie Menschen nicht mehr machen müssen. Dazu sind sie vollkommen harmlos, aber Künstliche Intelligenz ist mit Angst und Hoffnung gleichermaßen besetzt: "Wir haben das im Blick. Ein Entwurf von Volkswagen ist Teil der Ausstellung: ein Auto wie ein Roboter zum Reinklettern. Es trifft eigene Entscheidungen, denen man vertraut." Der Entwurf heißt Sedric, und er ist ein freundliches fahrerloses Auto. Das Modell in der Ausstellung ist maßstabsgetreu, und man kann sich eine Fahrt durch London simulieren lassen, inklusive eines Zwischenstopps in der Patisserie. Alles ohne Lenkrad. Die Sitze sind so angebracht, dass man einander gegenüber sitzt wie in einer Postkutsche, unmittelbar heimelig. Es fällt gar nicht auf, dass der Fahrer fehlt. Würde man Peter Wouda, den VW-Designer, der Sedric stolz im Museum präsentiert, fragen, wie er sich die Zukunft des Autos vorstellt, sie sähe wahrscheinlich ganz ähnlich aus wie die Vorstellung der Greenpeace-Aktivistinnen vor der Tür. Beim Mittagessen in der luftigen glasgedeckten Halle im Obergeschoss des Museums erklärt Wouda, dass das Auto der Zukunft eine vertrauenswürdige, saubere Maschine ist und nicht mehr keilförmig-aggressiv wie die Jungsträume der Vergangenheit.

Wo schon die Rede von Vertrauen ist — in diesen künftigen Kosmos gehören noch viele andere Aufgaben für Maschinen. "Wir sprechen auch von Deep Mind, Googles Forschungsanstalt, gleich hier in London. Die haben Künstliche Intelligenz trainiert, Videospiele zu spielen", sagt Rory Hyde. "Das soll zu einer Maschine führen, die viele Dinge tun kann: Lösungen für den Klimawandel anbieten oder das Gesundheitssystem verbessern." Und das soll funktionieren? "Wir stellen ja auch Fragen." Die Antworten darauf, da ist sich Hyde sicher, hält die Zukunft bereit. Man muss nur Vertrauen haben.

Ein wenig ist die Kunst auch zuständig für Experimente. Nur leicht zu finden sind die Entwürfe von Künstlern in der Schau nicht. Einer davon ist Tomàs Saracenos "Aerocene Explorer", in der hinteren linken Ecke des Ausstellungsraums. Die Hauptrolle spielt ein Heißluftballon für den emissionsfreien Luftverkehr. Saraceno träumt vom Leben in den Wolken.

Dabei stehen viele der Entwürfe für Probleme unserer Zeit, zum Beispiel UberEats, die App mit der man sich jetzt schon jederzeit Essen von prekär Beschäftigten liefern lassen kann. Kaum etwas trifft eine so präzise Aussage über die gegenwärtige Veränderung der Arbeitswelt. Wie es aussieht, wenn der neue Geist des Kapitalismus eine Ästhetik findet, lässt sich am neuen Apple-Campus ablesen, gestaltet von Foster + Partners. Es ist beinahe fugenlos wie ein iPhone, schön wie ein MacBook, flach wie die Unternehmenshierarchie und kreisrund wie die utopische Architektur der 60er.

Im V&A gibt es keine einheitliche Utopie mehr, und schon gar keine einheitliche Ästhetik der Zukunft. In der Moderne waren diese Utopien erst Aufgabe der Kunst, bis diese, wie die der italienischen Futuristen schal wurden, und die politischen Utopien sich als menschenfeindliche Systeme herausstellten. Dieser Ausstellung liegt aber ein zutiefst optimistischer Gedanke zugrunde. Design und Wissenschaft stehen allein im Dienste des Guten. Dass es oft viel komplizierter ist, bleibt unausgesprochen. Und man weiß auch nicht so recht, wie diese 100 Objekte in einem gesellschaftlichen Zusammenhang funktionieren. Man muss nur an eins glauben: Es wird immer besser.