Design-Offensive in Berlin

Diese Disziplin braucht mehr Platz und mehr Zeit

Gleichzeitig zur Art Week haben in Berlin gleich mehrere sehenswerte Design-Ausstellungen eröffnet. Diese unterstreichen die wachsende Bedeutung dieser Disziplin in der Hauptstadt

Es ist nicht so, dass die Berliner Art Week zu wenig Angebot liefert. Nicht zu wenige Ausstellungen, Eröffnungen, Empfänge. Sicher nicht. Aber wie es das Gesetz der Schnittstelle will, nutzt auch Artverwandtes die Aufmerksamkeit des großen Kunstevents. Wie schon beim Gallery Weekend haben auch jetzt gleich mehrere Designausstellungen eröffnet und zeigen das wachsende Interesse und auch das gestiegene Angebot dieser Disziplin in Berlin.

Da ist zum Beispiel die Ausstellung "Crafting Community", die bereits ein paar Tage vor der Kunstwoche in den Wilhelm Hallen eröffnete, genauer gesagt bei The Foundry, der imposanten Ausstellungsfläche der Leuchtenfirma Bocci. Dort wurden - initiiert durch Johannes Schön von Bocci, produziert von Tatjana Sprick und kuratiert von Anna Carnick – etwa Glasobjekte vom Studio Mischer'Traxler aus Wien gezeigt. Deren farbige Aufteilung zeigt die Verfügbarkeit von sauberem Trinkwasser in verschiedenen Regionen an. Oder die fantastische Arbeit von Yassine Ben Abdallah: eine Machete aus Zucker, die sich langsam tropfend auflöst und an die Arbeitsbedingungen der Sklaven auf den Plantagen von La Réunion erinnert.

Ein paar Tage später hat das Berliner Architekturbüro Gonzalez Haase das Eternithaus im Hansaviertel gemietet. Dort wurde der Launch ihres Webshops mit einer Ausstellung eingerahmt. Dabei wurden ältere Kollaborationen gezeigt – etwa die mit Analog Glass entstandene Lampe –, aber auch neuere Arbeiten wie etwa Marmorarbeiten in Zusammenarbeit mit Marbledworks.

Design im schönsten Gebäude Berlins

Und noch eine weitere Ausstellung wurde von Gonzalez Haase kuratiert, nämlich "Panorama Berlinés" im ehemaligen Kongresscenter ICC. Für ein paar Tage öffnete das schönste aller Berliner Gebäude für die Form Future Konferenz, bei der nicht nur über die Zukunft von Produktdesign diskutiert wurde, sondern in einem Saal auch die Berliner Designszene im Kreis aufgereiht wurde. 

In Zusammenarbeit mit Initiator Lutz Henke und dem Designberater Dara Sepehri entstand eine futuristische Ausstellungslandschaft in dem raumschiffartigen Interieur, die viel Edelstahl versammelte. Rafael Horzons Lichtobjekte aus Toaster und Ringlicht zum Beispiel, ein Röhrenstuhl von Bottone oder der Kaffeekocher von Sam Shermayeff, der die alte Küchenaufteilung dekonstruiert. Auch Thilo Reich und Tina Roeder sind mit Objekten vertreten und machen so schon mal Werbung für die von ihnen in Berlin im Oktober geplante Design Biennale. 

Natürlich ist das ICC-Gebäude selbst (geöffnet noch bis Sonntag, 14. September) der größte Grund für einen Besuch, sogar der Dachgarten wurde geöffnet. Allerdings haben die Initiatoren noch eine andere Meisterleistung vollbracht. Frank Oehring, Berliner Lichtkünstler und damals mit dem Entwurf der Besucherführung im ICC beauftragt, hat auch das ikonische "Gehirn" in der Mitte der Eingangshalle entworfen. Doch viele Jahre leuchtete es nicht mehr. Nun ist nach über 200 Techniker-Arbeitsstunden und 18 neu eingebauten Trafos das Lichtobjekt wieder so wie einst erdacht zu sehen. Was wirklich eine angemessene Anerkennung von Oehrings Arbeit ist.

Dinge im natürlichen Lebensraum

Ganz anders und trotzdem mit Designbezug gestaltete sich die Ausstellung "Material" von Modeexperte Julian Daynov im Alhambra auf dem Ku'Damm. Dort zeigte man mit Champagner- und Immobilienwirtschafts-Sponsoring international tätige Designer wie Johannes Budde aus Köln oder Milena Kling aus Berlin und zog modeaffine junge Menschen an - sicherlich und hoffentlich wurde auch einiges verkauft.

Ebenso jung, aber studentischer und weniger zum Verkaufen war die Ausstellung "40m²" in einer Schöneberger Wohnung gedacht. Konzipiert von den beiden Designern Justus Hilfenhaus und Anja Zachau wurden hier 38 Arbeiten von Gestaltern wie Nick Geipel oder Mark Braun in ihrer natürlichen Umgebung, dem Wohnumfeld, gezeigt. 

Das Konzept dahinter: Zu sehen sind Produkte, die es nicht auf den Markt geschafft haben. Berliner Stars wie Geckeler Michels zeigen einen ultraleichten Alustuhl samt sehr attraktiver Schweißnaht und mit einem angenehm warm werdenden Polypropylen-Sitz, der einfach abnehmbar und zu recyclen ist. Darüber hängt an der Wand eine Uhr vom Studio Œ, deren Zeiger sich über das gewölbte Ziffernblatt schmust.

Auch das Unproduzierte hat Wirkung

Autorin und Designerin Paula Mühlena erinnert in ihrem Ausstellungstext an die vielen Objekte, die es aus der Blasenfolie nicht ins Geschäft schaffen, darunter auch Stühle von Eames und Pflanzentöpfe von Aino Aalto. Auch das Unproduzierte habe Wirkung, schreibt sie als Reflexion der Gegenwart.

Das Heutige ist auch in der neuen und temporären Galerie von Maj van der Linden zu sehen, die nun nicht mehr nur in der Veteranenstraße, sondern auch in den Townhouses von Herzog & de Meuron im Tacheles-Quartier kuratiertes Design verkauft. Hier zum Beispiel die kubische und verspiegelte Ledercouch von Knoll. Diese Sitzgelegenheit steht vor allem hier im unteren Geschoss, weil sie einen angemessenen Raum für die slowakische Künstlerin Veronika Janovec eröffnet. 

Die Keramikkünstlerin mit Architekturhintergrund versucht in ihrer ersten Soloausstellung, Konversationen von Kunst und Möbeln anzuzetteln. Sie zeigt verschiedene Serien, mütterliche Formen, feine Gefäße, Flügelobjekte und Wandarbeiten. In ihnen erkundet sie Kanten, Bewegung und Lagerungen, die ineinander fließen.

Gleichheit und Veränderung

Höchst emotional wirken ihre Fragilität und die Form, die sich das Material auch selbst nimmt. Janovec sucht in der Wiederholung Gleichheit und Veränderung, indem sie sich immer wieder verschiedenen Formen und Herstellungstechniken widmet. 

Und sie hat mit der Anordnung ihrer Arbeiten im Raum kleine Störungen erschaffen. Eine Vase am Boden, in der Ecke des Teppichs. Nicht, weil die da gebraucht wird, sie hält eher auf, aber sie gehört dahin. Die Ausstellung ist auch nach der Art Week noch zu sehen. Und zeigt: Design in Berlin braucht mehr Platz und mehr Zeit.