Museumsschließungen

Endlich in Ruhe digitale Archive durchstöbern

 Eine Frau hält ein Tablet in den Händen vor einem Gemälde in einem Ausstellungsraum des Städel Museums
Foto: dpa

Eine Frau hält ein Tablet in den Händen vor einem Gemälde in einem Ausstellungsraum des Städel Museums

Wenn man schon aus der Not eine Tugend machen muss, dann können die Museumsschließungen immerhin zu etwas gut sein: Endlich einmal in Ruhe all die digitalen Archive zu durchstöbern, die viele Ausstellungshäuser und Forschungsinstitute teils seit Jahrzehnten im Hintergrund aufbauen. Unsere Autorin entdeckt: private Aufnahmen vom Fall der Mauer, kesse Assoziationsketten von Bazon Brock und die Stoffe, aus denen die Welt gemacht ist

Cooper Hewitt Collection

Super intuitiv und ausgesprochen humorvoll: Auch so kann ein Archiv aufgebaut sein. Die Sammlung des Cooper Hewitt, Smithsonian Design Museum an New Yorks Upper East Side, kostet den Umstand "digital" wunderbar aus – denn so wie hier wird man ein physisches Archiv niemals durchsuchen können. Die Design- und Kunstgewerbeobjekte des Hauses können nach allen nur erdenklichen Kriterien sortiert werden: Farbe (allein Grau kommt in jeweils zahlreichen Schattierungen), Breite, Höhe, Länge, und natürlich nach Herkunftsland, Medium, Museumsdepartment oder Art. Darüber hinaus lassen sich Drucke, Textilien, Dekor- und Gebrauchsgegenstände aber auch nach Vorschlägen wie "schmalstes Objekt" oder optische Ähnlichkeit (da wäre man bei der Google-Bildersuche) durchsuchen.

Rijksmuseum: Rijks Studio

Viele große Ausstellungshäuser haben ihre Sammlungen digitalisiert. So anwenderfreundlich katalogisiert und intuitiv bedienbar wie im Amsterdamer Rijksmuseum sind aber längst nicht alle: Mit dem Rijks Studio bietet das Museum eine eigene Seite nur fürs hauseigene Digitalarchiv mit insgesamt über 675.000 Exponaten. Wo andernorts karge HTML-Ödnis aufwartet, vermittelt das Rijks Studio sehr gekonnt den Eindruck, dass sich hier auch digital jederzeit wahre Schätze heben lassen. Was angesichts der Sammlung natürlich auch stimmt: Neben der ganzen Armada großer niederländischer Meister gibt es hier kostbarste Uhrwerke und Tapisserien, extravagante Stilmöbel, historische Kartografien und vieles mehr zu entdecken. Allein die hauseigene Asiatika-Sammlung umfasst Objekte aller bekannten Dynastien, von 1700 vor Christus bis ins frühe 20. Jahrhundert.

Tate

Ähnlich umfassend und komplex wie das Londoner Ausstellungsensemble im realen Raum zeigt sich das Digitalangebot der Tate, das bisweilen geradezu synästhetisch daherkommt: Tänzerinnen und Tänzer zeigen an Hand ausgewählter Werke, wie man zur Kunst tanzt, Video-Tutorials erklären den Weg zum Paint-like-Frank-Bowling-Bild, Podcasts stellen Francis Bacons ehemalige Stammkneipen vor und stellen die Frage, wieviel Nacktheit die Malerei eigentlich benötigt.  Ein gigantisches Digitalarchiv, sortierbar nach allen nur erdenklichen Wunschkategorien und – Schlagworten, ist natürlich ebenfalls vorhanden.

Deutsche Kinemathek

Mit ihrer Sammlung Digital stellt die Deutsche Kinemathek, das Berliner Museum für Film und Fernsehen, zahlreiche Sammlungen und Ausstellungen auch online zur Verfügung. Aktuell sind hier zum Beispiel die 1986 wiedergefundenen Plakate aus den ersten 40 Jahren deutscher Filmgeschichte zu sehen, von 1916 bis zu ersten Propaganda- und Heimatkitschwerken der Nationalsozialisten. Außerdem zur Sammlung zählen das Werner Herzog Archiv, die Marlene Dietrich Collection, Storyboards des Kubrick-Produktionsdesigners Ken Adam, die Sammlung des Filmplakatkünstlers Josef Fenneker und einige mehr. Filme in voller Länge anschauen kann man im DFFB-Archiv, das 50 Jahre deutsche Filmgeschichte umfasst. Außerdem sehr sehenswert: "Wir waren so frei", ein Digitalarchiv zum Fall der Mauer, in dem man an Hand von TV-Ausschnitten und privater Amateuraufnahmen noch einmal den fiebrigen Freudentaumel nachvollziehen kann, die das Ereignis zwischen 1989 und 1990 begleiteten. Warum man jene privaten Fotos ausgerechnet mit öffentlich einsehbaren "Gefällt mir"-Sternen bewerten kann, bleibt allerdings ein Geheimnis der Archivmacher.

Institute of Making: Material Library

Das Institute of Making ist ein interdisziplinärer Forschungsclub am University College in London und richtet sich an "alle, die an der gemachten Welt interessiert sind: von Moleküle-Machern bis zu Machern von Gebäuden, synthetischer Haut bis Raumfahrzeug, Suppe bis Diamanten, Socken bis Städten". Damit hätte man schon ganz gut die Bandbreite der digitalen Material-Bibliothek erfasst. Hier kann man wörtlich sehen, woraus die Welt und ihre Dinge gemacht sind und dabei zum Beispiel gefriergetrocknete Eiscreme, japanisches Polyester in mattem sowie glänzendem Finish und gelbe Quantenpunkte entdecken. Oder lernen, warum farbloses Aerogel, der leichteste Feststoff der Welt, blau erscheint (es ist derselbe Effekt, der auch den Himmel blau wirken lässt) und warum das Metall Indium außergewöhnliche Geräusche von sich gibt.

Städel Museum: Café Deutschland

Endlich Gelegenheit, sich durch das Oral History-Projekt zur sogenannten "ersten Kunstszene der BRD" zu hören: Das Städelmuseum ist bekannt für seine digitalen Angebote, die ihm 2019 auch eine Nominierung für den Grimme Online Award beschert hatten. Hier kann man nicht nur Online-Kurse zur Kunstgeschichte belegen oder die aktuellen Ausstellungen im Digitorial nachlesen, sondern auch nachvollziehen, wie das war mit der Nachkriegs-BRD und der Kunst (womit natürlich leicht ein bisschen der Eindruck entstehen kann, es habe die vermeintliche Stunde Null tatsächlich so gegeben). 70 Kunstschaffende, Künstlerinnen und Künstler, Sammlerinnen und Sammler und Galeristen wurden für das Großprojekt interviewt, ihre Gedanken und Erinnerungen kann man online nachlesen und (zumindest ausschnittsweise) nachhören. Die wunderbare Christa Dichgans erzählt, wie sie damals in ihrer katholischen Schule den Berufswunsch auf einem Zettel notieren musste, Galerist und Publizist Jürgen Schweinebraden erklärt, warum ihn Freundschaften ursprünglich mehr interessierten als die Kunst, Bazon Brock stellt auch hier kess-assoziative Thesen und Mikro-Beobachtungen her.