"Distelfink"-Verfilmung

Fluch und Trost eines Gemäldes

Donna Tartts Bestseller "Der Distelfink" erzählt von Kunst, Schuld, Leid und Trauer. Jetzt versucht sich ein Film an dem schwer fassbaren Romanstoff

Im New Yorker Metropolitan Museum explodiert eine Bombe. Verwüstete Säle, Rauchschwaden hängen in der Luft. Der 13-jährige Theo kann seine Mutter nicht finden. Sie ist bei dem Anschlag ums Leben gekommen. John Crowleys Adaption des Romans "Der Distelfink" benutzt diese grauenvolle Szene als Leitmotiv. Wie der Bestseller ist auch der Film ein Genre-Mix aus Kriminalgeschichte und Coming-of-Age-Story. Erzählt wird von Theo, der noch Jahre später unter Alpträumen leidet, weil er sich am Tod seiner Mutter schuldig fühlt.

2013 erschien Donna Tartts Roman "The Goldfinch", der um ein vom Niederländer Carel Fabritius 1654 gemaltes Bild eines angeketteten Distelfinken kreist. Tartt versetzte dieses eigentlich zur Sammlung des Mauritshuis in Den Haag gehörende Gemälde ins Metropolitan. In dem Jahr, in dem es gemalt wurde, kam Fabritius bei der Explosion des Delfter Pulvermagazins ums Leben. Beim sogenannten "Delfter Donnersturm" wurden große Teile der Stadt zerstört – auch Fabritius’ Atelier. Nur 14 seiner Werke blieben erhalten.

Tartt integrierte das reale Bild und seine Geschichte in ihre fiktive Erzählung um Theo, der das Kleinformat nach dem Unglück aus dem Museum stiehlt, um es zu Hause aufzubewahren. Der Protagonist gerät aus dem Gleichgewicht, wird drogenabhängig und fängt als dubioser Antiquitätenhändler in New York an. Das Buch stellt Fragen nach Schuld, Trauer und Macht der Kunst.

Unnötige Plot-Änderung

Auf über 70 Seiten schildert Tartt detailliert die Katastrophe im Museum und die verzweifelte Suche des Ich-Erzählers nach seiner Mutter. Drehbuchautor Peter Straughan zerstückelt die Ausgangssituation und verteilt die Erzählfetzen nach und nach über die Filmhandlung. Dadurch verliert die Szene große Teile der emotionalen Wucht, die sie im Buch hat. Soll die Fragmentierung veranschaulichen, wie Theos Leben von dem Schicksalsschlag überschattet wird, sorgt sie doch vor allem für Verwirrung.

Zwar wird schnell deutlich, dass Theo das Museum mit dem "Distelfinken" im Anorak verlässt. Aber warum wird erst am Schluss klar, dass dies das Lieblingsbild seiner Mutter war? Im Buch lässt Tartt an der ideellen Bedeutung des Gemäldes für Theo von Anfang an keinen Zweifel.

Das Bild, einerseits wie verflucht, andererseits Trost für Theo, spielt im Film über weite Strecken eine untergeordnete Rolle. Dann wieder setzt die Regie es auf überzeichnete Weise in den Vordergrund. Am Schluss entwickelt sich aus der dahinplätschernden Story eines Heranwachsenden eine rasante Kriminalgeschichte um ein verschwundenes Bild.

Theos Innenwelt bleibt verborgen

Die Filmadaption steht vor allem vor der Schwierigkeit, die Innenwelt Theos für den Zuschauer erfahrbar zu machen, wasTartt mit den inneren Monologen ihres Protagonisten eindrucksvoll gelingt. Wenn sich Theo an "sein" in Zeitungspapier umhülltes Bild klammert, das ihm zur einzigen Kraftquelle geworden scheint, verkommt dieses mehrmals gesetzte Motiv zum plakativen Stilmittel.

Ansel Elgort spielt den älteren Theo – und muss die fast unlösbare Aufgabe meistern, allein durch Ausdruck sein Innenleben zu veranschaulichen. Theo wirkt verloren, sowohl in seiner Rolle, als auch in der Ausgestaltung seiner Beziehungen zu anderen Figuren. Diese sind mehr behauptete Konstrukte als glaubwürdige Beziehungen.

Allein die Duettszenen sind stärker: Die kühle Stimmung bricht in Momenten zwischen Theo und seiner Pflegemutter (Nicole Kidman) auf. Ebenso zählen die Situationen mit Theos Chef und Ersatzvater, dem Antiquitätenhändler Hobie (Jeffrey Wright), zu den besseren des Films. Wenn Hobie seinem Schützling erklärt, wie er einen Stuhl richtig abschleifen muss, funkt es auch beim Zuschauer.

Ein Vorzug des Films ist die Kamera-Arbeit des großen Roger Deakins. Einer der optischen Höhepunkte ist eine Szene, in der Theo und ein Schulfreund nachts in einen Pool springen: zwei blasse Jungen, die durchs Nachtschwarz wirbeln und in Zeitlupe ins Wasser tauchen.

Nach fast zweieinhalb Stunden ist der Zuschauer mehr erschöpft als gepackt: Der Plot ist atemberaubend, der Film leider nicht. Er ist voller Behauptungen, die aber nicht über seine schwach gefütterte Konsistenz hinwegtäuschen können. Es fehlt einfach an authentischen Momenten, in denen der Zugang zu Theos Innenwelt nicht nur vorgegeben, sondern auch ausgefüllt wird.