Daniel-Josefsohn-Porträt auf Arte

Immer das Größte verlangen

Mit "DJ Punk" zeigt Arte ein treffendes Filmporträt des 2016 verstorbenen Fotografen Daniel Josefsohn

Wenn man einmal angefangen hat zu skaten, sieht man Städte nicht mehr wie vorher. Man sieht Möglichkeiten. Für Skater sind Absperrungen kein Grund. Durch das Skateboard kann man etwas Gebautes plötzlich fühlen. Und es ist etwas ganz anderes, ob man sich das theoretisch genau vorstellen kann, oder ob man sich wirklich von Betonrampen in die Luft schießt.

Daniel Josefsohn hat mal auf Sylt eine ziemlich hohe Hecke überklettert, um vor der riesigen ehemaligen Villa von Hermann Göring eine israelische Flagge zu hissen. Das Bild von 2007 heißt "More Jewish Settlements on the Sylt Strip" und ist eine seiner besten Arbeiten, obwohl gar keine Menschen darauf zu sehen sind und Josefsohn bekannt dafür war, wie er Menschen fotografierte, vielleicht, weil er sich mit ihnen noch besser verkanten und an ihnen entlangschrammen konnte als an Architektur.

Der Film "DJ Punk" über den 2016 verstorbenen Fotografen Daniel Josefsohn ist zurückhaltend und zutreffend. Im Ausdruck der Weggefährten, die darüber sprechen, was es bedeutete, mit ihm professionell oder privat oder beides zu tun zu haben, spiegelt sich noch das radikal Begeisterte, das Anstrengende, Nervtötende, tausendprozent Liebenswerte. Den Chefredakteur des "Zeit-Magazins", Christoph Amend, nagelte er in höchster Zeitnot fest, sich jetzt erst mal hinzusetzen um neue, wichtige, große Projekte zu besprechen. Julia Hummers Schauspielkarriere begann als Assistentin von Daniel Josefsohn, sie ist auf vielen seiner besten Fotos zu sehen. Und ihre etwas verspult wirkenden Erinnerungen daran hinterlassen am Ende den präzisesten und schönsten Eindruck davon, was es bedeutete, mit Josefsohn Fotos zu machen. Sie verstand das bestimmt so gut, weil sie Skaterin war.

Fotograf wurde er, nachdem er sich beim Skaten an beiden Beinen verletzt hatte, innerhalb kürzester Zeit ein intensives Drogenproblem bekam, das er in einer Bank mit einer Gaspistole lösen wollte und sich nach der Haft eine Nikon F301 zulegte. Beim Stadtmagazin "Prinz" in Hamburg teilte er sich Aufnahmen aus dem Nachtleben mit einem anderen Fotografen. Wolfgang Tillmans erinnert sich in Lutz Pehnerts Film sehr freundlich an die ansteckende energetische Neugier seines anarchischen Kollegen.

Einerseits werden die Anekdoten von Weggefährten – der Schauspieler Alexander Scheer, die Kuratorin Nadine Barth, der Comedian Oliver Polak zählen dazu – im Verlauf von "DJ Punk" immer lustiger, andererseits wird in der filmischen Montage sein Werk immer besser als Gesamtes begreifbar, obwohl es nie besonders stringent wirkte: Werbung, Mode, Editorial und freien Arbeiten,  so verschieden voneinander wie die MTV-Werbung von 1994 (auch die Frau, durch die als "Miststück" die Plakatkampagne ikonisch wurde, spricht über ihn) und der Foto-Stunt vor der Göringvilla. Daniel Josefsohn lehnte es außerdem ab, sich auf so etwas wie einen Stil festzulegen.

Im Jahr 2012 fiel er nachts plötzlich aus dem Bett. Sein Schlaganfall änderte alles, aber Josefsohn fotografierte weiter. Mit seiner Lebensgefährtin Karin Müller verfasste er für das "Zeit-Magazin" kurze Texte zu neuen und älteren Fotografien. Auf einem Bild ist ein Brautstrauß vor schwarzem Nachthimmel im Flug zu sehen. Er beschreibt, dass Fotografie genau das sei: zu wissen, dass man den jetzt fangen will. Sich entschlossen reinzustürzen, ist auch Stil.

Fast jeder seiner Weggefährten sagt in diesem Filmproträt, etwas von ihm gelernt zu haben. Christoph Amend erzählt, wie anstrengend die fordernde Art von Daniel Josefsohn sein konnte, aber er habe von ihm mitgenommen, sicherheitshalber mit viel Nachdruck immer das Größte zu verlangen. Denn klein werden die Dinge ganz von selbst.