Gefälschte Documenta-Einladungen

"Für manche wirklich tragisch"

Documenta-Standort Fridericianum in Kassel
Foto: Nils Klinger

Documenta-Standort Fridericianum in Kassel

Kurze Freude, viel Enttäuschung: Weltweit haben Künstlerinnen, Kuratoren und Autorinnen gefälschte Einladungen zur Documenta 15 erhalten. Wer dahinter steckt und ob es sich dabei um eine Kunstaktion handeln könnte, ist noch unklar 

Für viele Künstlerinnen, Kuratoren und Autorinnen ist es ein Lebenstraum: Ins Postfach flattert eine E-Mail, die zur Teilnahme an der Documenta 15 (D15) des indonesischen Kollektivs Ruangrupa im Sommer 2022 einlädt. Die Arbeit der Empfängerinnen und Empfänger des Schreibens wird als "impressive" gelobt, dann folgt die Aufforderung, sich zeitnah bei den Absendern zurückzumelden, damit man weitere Schritte diskutieren und sich gegebenenfalls auch vor Ort in Kassel treffen könne.

Doch die Freude bei den Angeschriebenen dürfte in diesen Tagen recht kurz ausfallen: Bei den E-Mails, die nach bisheriger Kenntnis der Documenta an mindestens 33 internationale Kulturschaffende gegangen sind, handelt es sich um Fälschungen. Die Absender-Adresse stimmt nicht mit dem Format der offiziellen Documenta-Kommunikationskanäle überein, und die Einladungen stammen nicht wie behauptet von Organisatoren des "Lumbung"-Programms, das Ruangrupa als interaktives Konzept für ihre Weltkunstschau plant.

Der Inhalt ist vielmehr eine Mischung aus Fakt und Fiktion. In einer der Mails, die Monopol vorliegt, wird zwar der Name eines realen Ruangrupa-Mitglieds genannt - und die Themensetzung für eine Lecture-Reihe über "die weibliche Perspektive nach dem sarkastischen Einfluss kultureller Männer in den 1980ern und 90ern [...] als Blaupause für millenial trash talk in den heutigen sozialen Medien" klingt in der diskurserprobten Kunstwelt gar nicht so unplausibel. Jedoch ergibt der Name, mit dem die Mail unterzeichnet ist, bei Google keinen einzigen Treffer.

Die Documenta warnt auf ihrer Website vor den unechten Anfragen und fordert Empfängerinnen und Empfänger auf, sich mit dem D15-Team in Verbindung zu setzen. "Derzeit kursieren nicht von uns ausgehende Einladungen, die etwas für Verwirrung sorgen", heißt es in dem Hinweis im Netz. Schon jetzt mussten die echten Documenta-Mitarbeiterinnen einige Weltkunstschau-Hoffnungen enttäuschen. "Für manche ist das wirklich tragisch", sagt Pressesprecherin Johanna Köhler. Es sei zwar nicht generell ausgeschlossen, dass potenzielle Mitwirkende der Weltkunstschau per E-Mail kontaktiert würden, "aber sicherlich nicht in der Form." Bisher hat die Documenta nach eigener Aussage noch keine Hinweise darauf, woher die Mails stammen. "Sie sind sehr gut verschlüsselt", sagt Johanna Köhler. Es seien jedoch Experten mit der Aufklärung betraut.

Die Pointe müsste ziemlich gut sein

Ob es sich bei dem Versand um eine künstlerische Performance handelt, ist bisher ebenfalls unklar. Allerdings hat es in der Vergangenheit bereits öfter Kunstaktionen gegeben, bei denen es um die Teilnahme, oder auch die Nicht-Teilnahme, an großen Kulturevents ging. Auf der Documenta 13 wurde 2012 im Fridericianum ein Brief des Künstlers Kai Althoff gezeigt, in dem er eine Einladung zur Ausstellung absagte. Mit seiner Verweigerung wurde er somit doch noch Teil der Schau.

Zwei Jahre später veröffentlichte eine Gruppe um den Berliner Künstler Daniel Chluba die Petition "Adam Szymczyk, wir wollen nicht zur Documenta 14". Laut des Initiators sollte die Aktion als Protest gegen gigantomane "Stadionkunst" verstanden werden – wobei keiner der Unterzeichnenden angefragt worden war.        

Martin Kippenberger (1953-1997) blieb Zeit seines Lebens eine Einladung zur erträumten Venedig-Biennale verwehrt. Also ließ er sich 1996 auf Hochzeitsreise von seiner Frau Elfie Semotan vor dem deutschen Pavillon in den Giardini fotografieren und veröffentlichte ein Plakat mit der Aufschrift "Biennale Di Venezia 1996" – die es in diesem Jahr gar nicht gab. Erst nach seinem Tod waren Kippenberger-Arbeiten 2003 schließlich doch im deutschen Pavillon zu sehen. 

Ob die gefälschten Einladungen zur Documenta eine Pointe haben, wird sich wohl noch zeigen. Bisher haben die E-Mails in der Kunstwelt lediglich Irritation, sehr kurzlebige Euphorie und viel Enttäuschung ausgelöst. Die Pointe müsste schon ziemlich gut sein.   

Aktualisierung: Die Absender-Mailadresse der gefälschten Einladungen konnte inzwischen geschlossen werden, wie die Documenta der Deutschen Presseagentur (Dpa) mitteilte.