Geplantes Documenta-Institut

Der Blick muss weiter werden

Weiter Blick bei Supervollmond: Eine ähnliche Öffnung der Perspektive wie beim Documenta-6-Kunstwerk vom Künstlerkollektivs Haus-Rucker-Co in Kassel kann man sich auch fürs geplante Documenta-Institut wünschen
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Weiter Blick bei Supervollmond: Eine ähnliche Öffnung der Perspektive wie beim Documenta-6-Kunstwerk vom Künstlerkollektiv Haus-Rucker-Co in Kassel kann man sich auch fürs geplante Documenta-Institut wünschen

Das Documenta-Institut hat jetzt einen prominenten Direktor, aber wahrscheinlich keinen Standort mehr. Wie die Weltkunstschau selbst steht das Institut zwischen globalem Anspruch und lokaler Politik. Dabei sollte es nicht die Kunst aus dem Blick verlieren

Die Documenta war schon immer ein Phänomen, das zwischen dem Lokalen und dem Globalen umherwandert. Schon die erste Ausstellung 1955 sollte die Botschaft aus Kassel in die Welt tragen, dass sich das entnazifizierte Deutschland in den Kreis der Kulturnationen zurückmeldet. Wie dank neuerer Forschung immer mehr ins kollektive Bewusstsein sickert, war sie jedoch auch ein Abbild der Nachkriegs-BRD und ihres unbearbeiteten NS-Ballasts.

In der jüngeren Vergangenheit hat die Weltkunstschau maßgeblich dazu beigetragen, den eurozentristischen Blick der Kunstwelt zu weiten und postkoloniale Anliegen alternativlos auf der Agenda von Kuratorinnen und Kuratoren zu setzen. Gleichzeitig zeigen Beispiele wie der Streit um den Verbleib von Olu Oguibes Obelisk in Kassel oder das Millionendefizit der Documenta 14, wie stark die globalen Inhalte in die politischen Prozesse der Stadt, des Landes Hessen und des Bundes eingebunden sind und wie die Rezeption davon geprägt wird.

Diese Dynamik kann man erneut beim geplanten Documenta-Institut beobachten, das mit dem Soziologen und Kasseler Universitätsprofessor Heinz Bude bereits einen prominenten Leiter, aber noch keinen eigenen Bau, einen ziemlich allgemein gehaltenen inhaltlichen Umriss und keine von der Documenta unabhängige Organisationsform hat. Heinz Bude hat angekündigt, das Institut solle die Documenta als "Gradmesser der Gegenwart" betrachten, zu dieser Gegenwart gehört aber auch, dass unklar ist, wann die Arbeit tatsächlich in vollem Umfang beginnen kann. In Kassel regt sich Widerstand gegen den geplanten Standort des Instituts auf einem Parkplatz auf dem historischen Karlsplatz in der Innenstadt.

Mit der Initiative "Rettet den Karlsplatz" wurden genügend Unterschriften gesammelt, um einen Bürgerentscheid über die Bebauungspläne im Dezember zu erzwingen. Um den zu verhindern, erwägt das Stadtparlament nun, den Standort Karlsplatz ganz fallen zu lassen und nach einer Alternative zu suchen, die auf weniger Gegenwind stößt. In dieser geografischen Hängepartie bliebe das ambitioniert angekündigte Institut auf unbestimmte Zeit heimatlos. Und auch der wiederholt vorgetragene Anspruch, sich der Stadtgesellschaft zu öffnen, ist ohne physisch betretbaren Ort nur schwer möglich.

Weltweit vernetzt und vor der Haustür

Es wäre falsch, lokale Konflikte gegen die global gedachten Inhalte des Instituts auszuspielen, weil die Documenta für Kassel nun mal beides ist: weltweit vernetzt und vor der Haustür. Doch offenbart sich bei näherer Betrachtung des Vorhabens ein Widerspruch im grundlegenden Programm. Einerseits wünscht man sich eine unabhängig forschende kritische Instanz, die die Geschichte der Weltkunstschau mit internationaler Strahlkraft bearbeitet. Gleichzeitig soll das Institut erst nach unbestimmter Zeit formal unabhängig von der Documenta gGmbH werden, und die regional interessierte Politik spricht von dem Projekt, als sei es vor allem dazu da, das Renommee von Stadt, Land und Bund zu pflegen. Die Grundsätze der Internationalität, Institutionskritik und Interdisziplinarität, die sich die Documenta auf die Fahnen geschrieben hat, lässt sich in der Planung noch nicht erkennen.

Die Kunsthochschule Kassel, die als Wirkungsstätte von Arnold Bode eine Keimzelle der Documenta ist, hat immer wieder durchblicken lassen, dass sie sich bei der Instituts-Planung zu wenig gehört und an den Rand gedrängt fühlt. Und tatsächlich kommen die Disziplinen Kunst und Kunstwissenschaft bisher eher peripher vor. Wie auf der Pressekonferenz zur Vorstellung Heinz Budes bekannt wurde, verlässt die erste Documenta-Professorin Nora Sternfeld, die als kommissarische Leiterin des Documenta-Instituts gehandelt wurde, Kassel zum Ende dieses Sommersemesters für einen Ruf als Professorin für Kunstpädagogik in Hamburg. Sternfeld wollte sich auf Monopol-Anfrage nicht zu ihrem Weggang äußern. Es liegt jedoch durchaus nahe, diesen Schritt auch als Reaktion auf fehlende Anerkennung und eine marginalisierte Rolle beim Aufbau des Instituts zu interpretieren.

Eine experimentelle Antwort auf Arnold Bode

Protagonistinnen und Protagonisten der Kunsthochschule haben zurecht darauf hingewiesen, dass die Kunst als Motor der Wissenschaft im Zentrum des geplanten Documenta-Instituts stehen sollte und künstlerische Forschung, wie sie in den Ausstellungen inzwischen selbstverständlich eingebunden ist, auch bei der Archivarbeit eine Rolle spielen muss. Dem Kunst-Experiment Arnold Bodes müsse experimentell und multiperspektivisch begegnet werden, damit Aufarbeitung nicht in Repräsentationswissenschaft erstarrt, die die Reputation einer Ausstellung poliert.

Sowohl das Documenta-Institut als auch das Documenta-Archiv haben nun eine neue Leitung, sodass sich die Konturen des Vorhabens wohl bald präzisieren werden. Die Documenta ist als soziologisches Phänomen zweifellos relevant, aber auch die Kunst muss eine zentrale Rolle spielen, damit ein Forschungsinstitut zur wichtigsten Ausstellung der Welt glaubwürdig und am Puls der Zeit sein kann. Nicht nur in Kassel stellt sich die Frage nach einem Standort - sondern auch bei der Positionierung in einer globalisierten Kunstwelt.