Streit um Documenta-Obelisken

"Eher nehmen wir ihn wieder mit"

Der Streit um den Documenta-Obelisken in Kassel hört nicht auf: Der Künstler will die Spendensumme von 126.000 Euro akzeptieren, aber auf keinen Fall einen neuen Standort

Knapp neun Monate nach Ende der Documenta 14 streitet Kassel noch immer über die Zukunft des letzten Überbleibsels im öffentlichen Raum: dem politisch aufgeladenen "Fremdlinge- und Flüchtlinge-Monument" von Olu Oguibe auf dem Königsplatz. Nachdem bei einem Spendenaufruf zum Ankauf des Obelisken mit Bibelzitat statt der angestrebten 600.000 nur 126.000 Euro zusammengekommen sind, ist die Diskussion über die Deutungshoheit dieser Zahl entbrannt. Ist das nun eine Ehre für das Kunstwerk, wie es der Bode-Preisträger Oguibe auffasst, oder "ein klares Nein" der Bevölkerung zum Obelisken, wie es die Kasseler AfD formuliert?

Auch den Standort der Skulptur hat die Stadt Kassel wieder zur Disposition gestellt. In der vergangenen Woche sprach sich der Magistrat unter dem Vorsitz von Oberbürgermeister Christian Geselle (SPD) für eine Versetzung der Betonstele auf den Holländischen Platz aus, einem wenig repräsentativen Verkehrsknotenpunkt nahe des Universitäts-Campus in der Kasseler Nordstadt. Obwohl Kurator Adam Szymczyk das migrantisch geprägte Viertel in den Fokus seiner Weltkunstschau gerückt hatte, trifft der Vorschlag bisher auf wenig Gegenliebe. Die Grünen ärgern sich über den Alleingang des Magistrats, das Documenta-Forum spricht von einem Abschieben des Kunstwerks aus der Innenstadt – eine brisante Wortwahl, wenn man bedenkt, dass Oguibes Obelisk ein Nächstenliebe-Monument für Flüchtlinge ist.

Der Magistrat begründet seinen Vorstoß unter anderem damit, dass der Königsplatz in der Kasseler Fußgängerzone für kommende Documenta-Ausstellungen frei bleiben soll. Dieses Argument hatte in der Obeliskendebatte, die immerhin schon seit September 2017 andauert, bisher keine Rolle gespielt. Außerdem widerspricht die Aussage der Tradition, dass immer wieder Documenta-Kunstwerke angekauft wurden und in der Kasseler Innenstadt eine permanente Bleibe fanden. Noch im Februar hatte Kulturdezernentin Susanne Völker (parteilos) verlauten lassen, dass sie den Königsplatz für den richtigen Obelisken-Standort hält.  

Der Künstler und Bode-Preisträger Olu Oguibe sieht im Vorschlag der Stadt vielmehr ein Einknicken vor der fremdenfeindlichen Gesinnung der AfD, die seit letztem Sommer Stimmung gegen den Obelisken macht und das Werk als "entstellte Kunst" bezeichnet hatte. Außerdem hatten Mitglieder der Partei angekündigt, bei jeder Straftat durch einen Flüchtling an dem Kunstwerk zu demonstrieren. "Der Bürgermeister von Kassel und die SPD haben entschieden, den Obelisken zu versetzen, um sich die AfD vom Hals zu halten", schreibt Oguibe in einer E-Mail an die Monopol-Redaktion, die deutlich schärfer klingt als seine bisherigen öffentlichen Äußerungen zu dem Thema. "Ihre Kalkulation ist, dass sie mich unter Druck setzen können. Sie machen den Standort zur Bedingung für den Ankauf und denken, dass ich zu sehr vom Geld verlockt bin, um abzulehnen. Eine traurige Fehleinschätzung."

Der Künstler betont, dass sein Werk, auf dem in vier Sprachen das Jesus-Zitat "Ich war ein Fremdling, und ihr habt mich beherbergt" steht, ein ortsspezifisches Monument ist. Am Königsplatz, wo die polierte Fußgängerzone in die rauere Nordstadt übergeht, ist der Obelisk inzwischen zum Teil des Alltags geworden. Auf den Stufen seines Sockels werden Babys gestillt und Telefonate in den unterschiedlichsten Sprachen geführt. Laut Oguibe ist der Platz genau die Schnittstelle zwischen alteingesessenen Kasselern und Neuankömmlingen, die sein Monument zum Thema hat. "Jeder Aspekt des Kunstwerks ist auf diesen Standort ausgerichtet", sagt er. "Es würde nirgendwo sonst existieren."

Aus Oguibes E-Mail lässt sich schließen, dass der Künstler mit dem Spendenbetrag von 126.000 Euro einverstanden ist, obwohl noch nicht einmal ein Viertel des ursprünglich kommunizierten Kaufpreises zusammengekommen ist. "Ich möchte das Engagement der Kasseler anerkennen und ehren", schreibt der amerikanisch-nigerianische Künstler. "Aber ich wehre mich dagegen, dass mit dem Obelisken Parteipolitik betrieben wird."

Auch Oguibes Galerist Alexander Koch von der Berliner Galerie KOW bestätigt, dass der Obelisk für das gespendete Geld zu haben ist – allerdings nur auf dem Königsplatz. "Olu Oguibe und ich sind uns einig, dass ein anderer Standort in Kassel nicht in Frage kommt", sagt Koch. "Eher bauen wir das Werk wieder ab."

Olu Oguibe berichtet, dass ihn die Argumente des Magistrats nicht überzeugen: "Man hat mir versichert, dass 27.000 Studenten den Obelisken am Holländischen Platz sehen würden", sagt er. "Aber wenn ich eine Skulptur für Studenten gewollt hätte, hätte ich eine gemacht. Der Obelisk ist für alle, nicht nur für die Outsider in der Nordstadt." Die Stadt Kassel weist eine politische Motivation für ihre Präferenz des Holländischen Platzes zurück. In einer Pressemitteilung heißt es, der alternative Standort biete "der Idee des Künstlers noch besser Gewähr, wonach der Obelisk mitten im Leben der Menschen verortet sein soll."

Der Künstler sieht im Vorgehen der Stadt dagegen einen Widerspruch zu den Prinzipien des Documenta-Gründers Arnold Bode. "Er hat die Documenta als direkte Antwort auf Politiker ins Leben gerufen, die unbequeme Kunst beseitigen ließen", sagt er. "Er hat sich einen Ort gewünscht, an dem die Kunst nicht der Politik ausgeliefert ist. Ich fürchte, dass sich Herr Bode angesichts der Kasseler Farce gerade im Grabe umdreht."

Wann die inzwischen unendlich scheinende Obelisken-Geschichte zu einem Abschluss kommt, ist noch immer offen. Die Entscheidung liegt letztendlich bei der Stadtverordnetenversammlung, nach Angaben eines Sprechers der Stadt Kassel kann der Antrag nach Abschluss von Beratungen in den Fraktionen jederzeit eingebracht werden. Eine konkrete "Deadline" für eine Entscheidung gebe es aber nicht.

Die politischen Nachwehen der Documenta 14 werden Kassel also noch eine Weile schmerzen. Und selbst, wenn sich der Obelisken-Konflikt in absehbarer Zeit lösen lässt, wartet gleich die nächsten Großbaustelle: noch immer gibt es keine Findungskommission, die einen künstlerischen Leiter oder eine Leiterin für die Documenta 15 in vier Jahren bestimmen soll.