Documenta-Symposium in Hamburg

Können wir jetzt reden?

Ein Symposium an der Hamburger Kunsthochschule wollte in dieser Woche die Antisemitismus-Skandale der Documenta Fifteen aufarbeiten. Tatsächlich gelang es, unterschiedliche "Lager" ins Gespräch zu bringen 

"Kontroverse Documenta Fifteen" – unter diesem Titel hatte die Hochschule für bildende Künste Hamburg (HFBK) jetzt zu einem zweitägigen Symposium über das immer noch vieldiskutierte Thema Antisemitismus auf der Documenta eingeladen. Wichtig war diese überaus gut besuchte Veranstaltung nicht nur, weil sie im Gegensatz zu manch anderen vorherigen Gesprächsrunden zu diesem Thema hochkarätig und zugleich ausgewogen besetzt war. Stimmen aus unterschiedlichen "Lagern" kamen dort endlich zu Wort: erklärte "Gegner" der Ausstellung ebenso wie deren "Verteidiger", jüdische Denker und Künstler zum Beispiel, ebenso wie zwei der indonesischen Kuratoren aus dem Kollektiv Ruangrupa.

Die Veranstaltung war auch deswegen wegweisend, weil sie sich nicht damit begnügte, inzwischen festgefahrene Argumentationen und Vorwürfe, wie etwa die Nähe von Ruangrupa zur israelfeindlichen Boykott-Kampagne BDS, erneut zu strapazieren. Stattdessen wagte sie, das umstrittene Thema auch aus anderen Blickwinkeln zu beleuchten.  

Selbstverständlich aber waren BDS und die Rolle der Bewegung im Kunstfeld zunächst ein Thema. So sprach Oliver Marchardt, Professor für politische Theorie in Wien, davon, dass sich der BDS im "progressiven Kunstbetrieb" längst durchgesetzt habe und Israel daher der derzeit meistkritisierte Staat in internationalen Kunstausstellungen sei: so zum Beispiel auf der letzten Berlin-Biennale.

Blinder Fleck in der Debatte

Ausgerechnet Meron Mendel, Direktor der Frankfurter Bildungsstätte Anne Frank und inzwischen der wohl bekannteste Protagonist in den Diskussionen rund um die Documenta Fifteen, zeigte diesen durchaus notwendigen Bedenken jedoch gleich in zweifacher Weise die Grenzen auf. Zum einen konstatierte er, dass eine Nähe zu BDS nicht grundsätzlich als antisemitisch zu verurteilen sei. Zum anderen wies er darauf hin, dass die BDS-Debatte in den letzten Monaten nicht zuletzt die Funktion hatte, fast alle anderen Themen der Documenta auszublenden. Als Beispiel für solch einen blinden Fleck nannte Mendel die nahezu untergegangene Arbeit der Künstlerin Tania Bruguera, die im Sommer in der Documenta-Halle die politische Situation ihrer Heimat Kuba kritisch behandelte.

Das Banner "People’s Justice" der indonesischen Künstlergruppe Taring Padi war ebenfalls ein hitzig diskutierter Topos dieses Symposiums. Dieses von der Documenta entfernte Triptychon mit seiner zum Teil als antisemitisch eingestuften Bildsprache löste bekanntlich einen vor allem in deutschen Medien monatelang ausgetragenen Skandal aus. Doch gegen eine vorschnelle Einschätzung der Motive als Antisemitismus sprach sich überraschenderweise der renommierte Historiker Michael Wildt von der Humboldt-Universität Berlin aus.

Der Wissenschaftler mit dem Arbeitsschwerpunkt Nationalsozialismus bezweifelte, dass sprachliche Symbole überall auf der Welt in gleicher Weise verstanden werden. Wildt führte aus, dass auch vermeintlich eindeutig zu verstehende Zeichen, auch Nazi-Symbole, in unterschiedlichen kulturellen Kontexten sehr wohl unterschiedlich gelesen werden können.  

Tönt der antisemitische Geist der NS-Zeit nach?

Auch der Frage nach der Kontinuität des Antisemitismus auf der Documenta seit ihrer ersten Ausgabe 1955 wurde auf dem Symposium nachgegangen. Der israelische Soziologe Nathan Sznaider etwa ging in seinem Keynote-Vortrag "Ambiguitätstoleranz auf dem Prüfstand. Documenta Fifteen und die jüdische Frage" davon aus, dass der antisemitische Geist der frühen Documenta-Ausstellungen, die unter anderen von ehemaligen Nationalsozialisten wie Werner Haftmann konzipiert wurden, "bis heute nachtönt". Die Kunsthistorikerin Julia Voss widersprach und führte aus, dass es eine solche Kontinuität schon deswegen nicht gäbe, weil die Documenta und ihre sie prägenden Strukturen sich längst immer wieder entscheidend verändert hätten.

Höchst spannend wurde es auch im letzten Teil des Symposiums, in dem die Ästhetik der Documenta Fifteen diskutiert wurde. Gerade über diesen Aspekt ist in den letzten Monaten nur am Rande geredet worden. Und so war es umso wichtiger, dass die Kuratorin Margarita Tsomou in ihrem engagierten Statement die kollektive Kunstarbeit analysierte, die auf der Weltkunstschau vorgestellt wurde.

Mit Begriffen wie Partizipation, horizontale, also flache Hierarchien, soziale Praxis und sich vernetzende Interrelationalität plädierte Tsomou für ein künstlerisches Miteinander, das nicht mehr bloß Inhalte repräsentieren will, sondern aktiv emanzipative Prozesse in Gang bringen möchte. Nora Sternfeld, Hamburger Professorin für Kunstpädagogik, fügte im Gespräch mit dem Ruangrupa-Mitglied und HFBK-Gastprofessor Iswanto Hartono hinzu, dass solch eine Kunst zudem in der Lage ist, politische Konflikte nicht nur gezielt anzusprechen, sondern auch handelnd in neue gemeinschaftliche Strukturen, sogenannten "Commons", einbetten kann. In dem das Symposium abschließenden Statement der Kuratorin Gilly Karjevsky klang das dann so: "Critique is no longer enough". Kritik ist nicht mehr genug.