Buch zum Werk von Doug Aitken

Erzähl mir was vom Pferd!

Mit dem Buch "Works 1992 - 2022" gibt der Künstler Doug Aitken einen retrospektiven Einblick in sein multimediales Schaffen

Samtig fühlt er sich an, aber mit Einkerbungen. Der dunkle Leineneinband mit Prägung zeigt einen siebgedruckten blauen Ring aus Partikeln, die man unter den Fingern spürt. Es hat ja etwas Beruhigendes, dass auch die Schöpfer von situativer Medienkunst noch voll auf die Wirkung hochwertiger Bildbände setzen. "Works 1992 - 2022" heißt der bei MACK erschienene Catalogue raisonnné über das Werk von Doug Aitken, der Name des US-Amerikaners ist ihm in eckigen goldenen Lettern eingeprägt.

Der 1968 in Redondo Beach geborene Aitken trat in den 1990er-Jahren ins internationale Rampenlicht einer sich entgrenzenden und internationalisierenden Gegenwartskunst, schwamm durch den Panamakanal, filmte die Namib-Wüste und modernistische Pavillons im brasilianischen Regenwald und im Meer vor Kalifornien. In der Mehrkanal-Videoarbeit "Migration (empire)" setzte Aitken 2008 wandernde Wildtiere in die austauschbaren Motelzimmer der rastlos-riesigen USA – die Bilder eines Bisons, das seinen riesigen Schädel an einem Motelbett reibt oder der das Interieur zerstörende Puma zählen zu den bleibenden Bildern, die die Kunst dieser Jahre hinterlassen hat.

Dasselbe gilt für die monumentale Installation "Sleepwalkers" an der Fassade des MoMA, über die 2007 nachts Schauspielerinnen wie Tilda Swinton und Donald Sutherland irrten. Nun lässt sich die Wirkung solcher immersiver Werke nur schwer auf Papier herunterbrechen. Mit "Works 1992-2022" ist trotz des Umfangs von sechshundert Seiten ein recht leserfreundliches Buch entstanden – mit Bildern, Essays und Textvignetten, die nicht selten aus Gesprächssituationen herrühren und in denen Aitken erzählt, was es mit einer Arbeit auf sich hat, wie er sie konzipierte, was ihn dazu antrieb.

"Rückkehr zum Realen"

Eins wird dabei klar: Der im Hippiejahr 1968 geborenen Doug Aitken hängt dem alten Wunsch nach, die Grenzen zwischen den Menschen und allen kulturellen Sparten einzuebnen. Er begreife die Welt, so der Künstler im Gespräch mit dem Art-Basel-Chef Marc Spiegler, "als ein riesiges kaleidoskopisches Feld von Informationen, die jeder von uns collagiert … um seine eigenen persönlichen Bedeutungen und Strukturen zu schaffen … Polymediales Arbeiten ist nichts Neues, aber wir leben in einer merkwürdigen Zeit, in der, was Kunst angeht, der Schwerpunkt auf ihrem Verhältnis zum Kapitalismus und zur Ware liegt. In vielerlei Hinsicht erzeugt das einen Zustand, der das Potenzial der Kunst, sich zu etwas viel Weiterem zu entwickeln, erstickt."

Anstatt über diese Entwicklung zu lamentieren, arbeitet Aitken dagegen an. Im Jahr 2013 brach er mit Künstler, Autoren, Filmemachern und Musikerin zu einer 6400 Kilometer langen Zugreise quer durch Nordamerika auf, bei der sich das Fortbewegungsmittel in eine Mischung aus Atelier, Wohnzimmer und Aufnahmestudio verwandelte; in den Bahnhöfen entlang der Strecke fanden Happenings statt, unter anderem mit Beck und Patti Smith.

Er wollte mit diesem nomadischen Projekt, so Aitken, einer Regionalisierung wie auch einer Verlagerung des Denkens in Bildschirmwelten entgegenwirken. In der Gegenwart macht der Medienkünstler eine "Rückkehr zum Realen" aus, "aber es ist nicht das Reale, das wir zurückgelassen haben". Urlaub in den Nullerjahren? Ein bisschen. Der Band ist auch eine Erinnerung daran, dass die Welt nicht immer so gespalten und pessimistisch war wie 2022.