ZERO-Jubiläum in Düsseldorf

"Wir suchen Anschluss an die Jetztzeit"

Vor 60 Jahren gründeten die Künstler Otto Piene und Heinz Mack die ZERO-Bewegung als Neustart für die Kunst. Zum Jubiläum lädt die ZERO-Stiftung in Düsseldorf dieses Wochenende zu einem Festival. Geschäftsführerin Barbara Könches gibt einen Ausblick

Frau Könches, sie waren vor Ihrem Wechsel zur ZERO foundation zehn Jahre Leiterin des Fachbereichs Visuelle Kunst der Kunststiftung NRW. Wie ist ihre persönliche Bindung zu ZERO?
Ich war, bevor ich an der Kunststiftung NRW tätig war, am ZKM in Karlsruhe als Kuratorin tätig. Ich fand schon immer die Verbindung von Kunst und Technologie interessant und habe im ZKM auch entsprechend viel in der Richtung gearbeitet, sodass ZERO für mich ein Zurück zu meinen Wurzeln ist.

Wie transportiert das Festival die ZERO-Themen in die Gegenwart?
Wir suchen Anschluss an die Jetztzeit, indem wir junge Künstler einladen. Das, was sich in den 50er- und 60er-Jahren als Experiment darstellte, nämlich Kunst von der Leinwand zu befreien, in den Raum zu gehen, das machen die Künstler heute ganz selbstverständlich. Es gibt ein Symposium, bei dem unter anderem die Frage nach Betrachter- und Werkraum sehr wichtig ist. Lucio Fontana hat der Kunst mit dem Schnitt in die Leinwand einen komplett neuen Raum ermöglicht. Damit haben sich die jungen Künstler der ZERO-Bewegung, also nicht nur Mack, Piene und Uecker, sondern auch Yves Klein und Piero Manzoni und andere, sehr stark identifiziert. Heute in der digitalen Welt ist es selbstverständlich, dass man Räume durchschreitet. Und im Open House versuchen wir, die Geschichte der ZERO-Bewegung darzustellen, indem wir unser Archiv nicht in der klassischen Form der Vitrinen-Ausstellung zeigen, sondern Bilder an die Wand und auf den Boden projizieren. Im Raum sind Bälle, die Bilder einfangen, sodass das Archiv zu einer Art immersivem Raum wird.

Wie direkt ist die Verbindung von ZERO zu den jungen Künstlern von heute?
Die ZERO-Bewegung hat sich Ende der 60er-Jahre aufgelöst. Dann kam die 68er-Bewegung. Die jungen Künstler heute stehen in einer künstlerischen Tradition, aber sie sind keine Fortführer der ZERO-Bewegung. Sie sind im besten Falle das, was man sich als Künstler immer wünscht, nämlich dass das eigene Werk "Schule" macht.

Wie viel Politik steckt in ZERO?
Ich glaube, dass in ZERO sehr viel Politik steckt und dass man das aus der heutigen Sicht oft missinterpretiert. Die Werke, die die ZERO-Künstler gemacht haben, waren anti-hierarchisch, sie arbeiteten mit Struktur. Das war nicht nur eine ästhetische Revolution, sondern auch ein politisches Statement. In dem Moment, in dem Sie keine Visualisierung von Bildern und semantischen Darstellungen mehr haben, haben Sie keine Möglichkeit der kognitiven Einflussnahme mehr. Die Künstler hatten ja nicht nur den Krieg erlebt, sondern auch die schlimmste Propaganda im Nazi-Deutschland. Sie haben anti-hierarchisch gearbeitet und damit auch anti-diktatorisch. Und sie haben dem Betrachter die Freiheit gelassen, sich ein eigenes Bild zu suchen. Wenn Sie an die Lichtballette von Piene denken, wo man durchgeht, oder an die Lichtstelen von Mack oder auch an die Benagelung dieser bürgerlichen Klaviere und Sockel von Uecker, dann sieht man ganz schnell, dass das nicht unpolitisch war, aber es war kein Agitprop, der hinterher üblich wurde. In den 50er-Jahren herrschte ein extrem konservatives Klima in Deutschland, es galt der Adenauer-Spruch: "Keine Experimente!" Aber die ZERO-Künstler haben mit Licht experimentiert, mit Wind, mit Wasser. Ich glaube, dass das nicht nur ein ästhetischer Moment ist, sondern ein zutiefst ethischer.

Letzten Endes geht es dann ja auch darum, Kunst in den Alltag zu übersetzen.
Ich glaube, dass Kunst immer ein Bestandteil des Alltags ist. Auch – und das ist die Bauhaus-Idee, die ZERO beeindruck hat – sobald man seinen Alltag bewusst gestaltet und auch als gestaltet erlebt. Mit einer Open-Air-Exhibition junger Kunst im Außenraum möchten wir in unsere Umgebung gehen, so wie ZERO es auch gemacht hat. Wir wünschen uns, dass Passanten, über unsere Kunst "stolpern". Keisuke Matsuura zum Beispiel hängt dazu fünf ganz feine Seile von einem Baum zum nächsten, direkt vor einer Kirche. Das sieht aus wie ein Notenblatt, und wenn der Wind in diesen Seilen spielt, dann ergibt das ganz eigene Töne, wie eine Melodie. Dass Naturelemente schön sein können, diese Erkenntnis haben wir ja nicht zuletzt den ZERO-Künstlern zu verdanken.