Fotografinnen-Film "Rebellinnen"

Durch die Linse der DDR

Der neue Dokumentarfilm von Pamela Meyer-Arndt porträtiert drei Fotografinnen aus der ehemaligen DDR – in ihrer oppositionellen  Vergangenheit und ihrem heutigen Alltag

Cornelia Schleime steht auf dem Balkon ihres Wohnateliers im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg und lässt den Blick gen Fernsehturm schweifen. Als Machtsymbol der DDR strahlte er von Ost-Berlin die Stärke des sozialistischen Staates aus, heute steht der Touristenmagnet in der Mitte der geeinten Hauptstadt. In Pamela Meyer-Arndts neuem Dokumentarfilm "Rebellinnen – Fotografie. Underground. DDR" blicken drei Künsterinnen aus dem ehemaligen Oststaat – Tina Bara, Cornelia Schleime und Gabriele Stötzer – auf ihre Vergangenheit zurück. Unterfüttert werden ihre Erzählungen mit Ausschnitten älterer Interviews und Einblendungen ihrer fotografischen und filmischen Arbeiten. In sich abwechselnden Sequenzen sprechen die Frauen darüber, wie sie zur Kunst fanden, mit welchen Hürden sie dabei zu kämpfen hatten und wie sehr Vergangenheit und Gegenwart miteinander verflochten sind.

Im sozialistischen System schlagen die späteren Künstlerinnen zunächst andere Berufswege ein: Schleime studiert Maskenbildnerei in Dresden, Stötzer Deutsch und Kunsterziehung in Erfurt und Bara Geschichte an der Humboldt-Universität in Ost-Berlin. Während ihres Studiums kommen alle drei mit oppositionellen Gruppen in Berührung und beginnen, die Strukturen des SED-Regimes kritisch zu hinterfragen. In der Verarbeitung ihrer Erfahrungen mit dem System und der Staatssicherheit finden sie zur Kunst, die den Ausweg aus der beengenden Realität verspricht und visuell verkörpert, was nicht in Wort und Schrift ausgedrückt werden durfte.

Der Film von Meyer-Arndt konzentriert sich auf die frühen Schaffensjahre der drei Künstlerinnen in den 1970er- und 1980er-Jahren. Während Tina Bara über Selbstporträts und Bilder ihres Körpers im Spiegel in der Fotografie ein Medium zur Selbstreflektion fand, nutzten Gabriele Stötzer und Cornelia Schleime neben Fotos auch den Super-8-Film zur Aufzeichnung und Selbstinszenierung des eigenen Körpers. Die fotografischen und filmischen Arbeiten der drei Künstlerinnen schildern ihre innere Zerrissenheit, aber auch die Suche nach dem eigenen Platz in den Gegebenheiten.

Arbeit mit dem Körper

Die entstandenen Bilder von Bara, Schleime und Stötzer zeigen und thematisieren den nackten Körper. Was heute keine Besonderheit darstellt, lässt sich trotz der dem deutschen Osten nachgesagten FKK-Manie als Systemkritik lesen: "Warum sind die alle nackt?", fragt Tina Bara. "Da war ja eigentlich so die Idee, sich verletzlich zu zeigen und sich damit auch in den Weg zu stellen." Welche politische Rolle nimmt der weibliche Körper damit an? Und sind die drei "Rebellinnen" automatisch "Feministinnen"?

Neben ihren Selbstporträts lichtete Tina Bara, heute Professorin an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig, auch die Körper von Menschen in ihrem nahen Umfeld ab. Viele der frühen Schwarzweiß-Fotografien spielen mit dem starken Kontrast zwischen Haut und Hintergrund; eine Spannung, die ihren Bildern eine an den Film-Noir erinnernde Ästhetik verleiht. Extreme Nahaufnahmen sich berührender Körper drücken Nähe aus, während die Entblößung des eigenen Körpers in Baras Fotografien auch die Frage nach Selbstbestimmung aufwirft – und das in einer Gesellschaft, die von der Idee der Entindividualisierung zugunsten der Gemeinschaft geprägt war.
 

Cornelia Schleime wickelte sich für ihre Aufnahmen von Kopf bis Fuß in Seil, Stoff oder Draht ein – "um eine Parabel zu finden für mein Lebensgefühl in der DDR", wie sie heute sagt. Dabei sei es ihr weniger um sie selbst und ihre Nacktheit gegangen, als um den Körper als Medium. Auch Gabriele Stötzter geht es nicht primär um die Befreiung der Frau. Für eine Unterschriftenaktion gegen die Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann wurde sie 1977 zu einer Haft im DDR-Frauengefängnis Hoheneck verurteilt. Seitdem, erzählt sie, beschäftigt sie sich intensiv mit dem weiblichen Körper. "Diesen Begriff Feminismus gab’s nicht", hält sie dennoch fest. "Auch wenn wir als sowas beschimpft wurden, hab ich das eher so gesehen als: Aha, die kriegen uns ja mit, ich bin ja jemand, ich bin ja nicht niemand."

Es waren in der DDR vor allem Frauen, die im Fach Künstlerische Fotografie ausgebildet wurden und später als Fotografinnen arbeiteten. Entsprechend drängt sich unweigerlich die Frage auf, ob Fotografie in der DDR nun als dezidiert weibliches Ausdrucksmedium verstanden werden kann. Mit ihrem Film versucht die west-deutsch sozialisierte Regisseurin eine Antwort zu finden, die über eine trockene historische Nacherzählung hinausgeht: Sie stellt die drei Künstlerinnen als Autodidaktinnen vor und geht wenig auf den Auftrag der Fotografie als Bildmedium ein. Auch widmet sich der Film den Fotografinnen als eigenständige Künstlerinnen und nicht als Exemplare ihrer Zunft.

Stimmgewaltig

Dabei wäre es bereichernd, mehr über die Bedeutung des Mediums der Fotografie im restriktiven SED-Regime und über ihren Stellenwert im Vergleich zu anderen Kunstgattungen nachzudenken. Gerade weil die Fotografie auch heute noch häufig als die vermeintlich handwerklichere, weniger kreative Kunstform im Schatten der "schöpferischeren" und männlich-dominierten Meisterdisziplin, der Malerei steht, hätte eine Untersuchung der stark gegenderten Stellungen von Fotografie und Malerei eine interessante Perspektive eröffnet. Das gilt besonders im Fall von Cornelia Schleime, die bis dato fast ausschließlich für ihre Malerei bekannt ist. Ist es nicht so, dass die fotografischen und filmischen Arbeiten von Tina Bara, Cornelia Schleime und Gabriele Stötzer wie ein Gegenentwurf zur wuchtigen, repräsentativen Malerei der zeitgleich entstehenden Leipziger Schule wirken? In ihrer puren, rohen Ästhetik vermitteln sie unter Zuhilfenahme geringer alltäglicher Mittel beides: ein kollektiv-weibliches und ein individuelles Lebensgefühl, das nach Freiheit strebt, und bei dessen Erschließung das Medium Körper und das Medium Fotografie eine zentrale Rolle spielen.

"Rebellinnen – Fotografie. Underground. DDR" agiert durch die unverfälschte Regie wie offenes Auge und offenes Ohr zugleich: Im Mittelpunkt stehen die Erzählungen und Arbeiten der Künstlerinnen. Wir begleiten drei Frauen, wir sind zu Gast bei ihnen. Lange Interviewpassagen, wenige Schnitte und Zurückhaltung bei der dramaturgischen Führung stellen Kunst und Künstlerinnen ganz in den Mittelpunkt der Dokumentation.

Der Titel klingt verheißungsvoll, die aufgeladenen Schlagbegriffe "Underground", "DDR", "Fotografie" und "Rebellinnen" geben viel her. In einigen Sequenzen sprechen Tina Bara, Cornelia Schleime und Gabriele Stötzer explizit darüber, wie sie auf ihre Existenz als weibliche Künstlerin in der DDR zurückblicken, sodass sich die Frage stellt, warum die Interviews nicht mehr in diese Richtung gelenkt wurden. Aus welchem Grund wurden die im Titel angeteaserten Themenbereiche über die einzelnen Schicksale nicht besser zu einer kollektiveren Aussage verknüpft, wenn das doch die Motivation des Films ist?

Auf der anderen Seite kann Meyer-Arndts Film auch für gerade diese cineastische Zurückhaltung geschätzt werden: Die Regisseurin folgt dem Tempo der drei Künstlerinnen und zeigt damit, wie bereichernd es sein kann, einfach einmal zuzuhören. Damit stellt sich "Rebellinnen – Fotografie. Underground. DDR" auch einem Dokumentarfilm-Trend entgegen, bei dem Biografien bekannter Künstlerinnen und Künstler zu oft spielfilmartig aufgebauscht werden. Tina Bara, Cornelia Schleime und Gabriele Stötzer sprechen für sich selbst, ihre Bilder und Geschichten wirken nach.