Eiland des Elends

Der Künstler Jake Chapman hat einen Liebesroman geschrieben, der unlesbar werden sollte. Es ist ihm nicht gelungen

Dass Jake Chapman gern mit Wörtern hantiert, sieht man schon daran, wie gekonnt er seinen Debütroman niederredet: Dieses Machwerk sei gut gegen Schlafstörungen und langweile ja wohl jedermann zu Tode. Ernsthaft: Unlesbar sei das. Hier erfahre der Leser, wie Sprache gerade nicht funktioniert. Ein gutes Buch, um einen kippelnden Tisch zu stützen, „ein Roman mit sehr schlechten Zähnen, mit einigen Abszessen und fiesen kleinen Krankheiten“.

Wenn es tatsächlich Jake Chapmans Ziel war, mit „The Marriage of Reason & Squalor“ ein unlesbares Buch abzuliefern, dann ist er an dieser Aufgabe gescheitert. Der Roman vom „Ehebund zwischen Vernunft und Elend“ liest sich recht unterhaltsam, ist amüsant und überrascht mit einigen guten Einfällen.

Natürlich, das Werk ist eine Überzeichnung eines an sich schon überzeichnungsreichen Genres: Es parodiert den trivialen Liebesroman. Aber Überzeichnungen gehören zur Technik der bildenden Künstler Jake und Dinos Chapman, buchstäblich. Kürzlich zeigten die Brüder in der Londoner Galerie White Cube bearbeitete Aquarelle von Adolf Hitler: Nachdem sie die Blätter für viel Geld erstanden hatten, ergänzten sie die Arbeiten um eigene Motive; sie überzeichneten sie also. „Wir haben sie verbessert“, sagt das Duo.

„The Marriage of Reason & Squalor“ verbessert nicht unbedingt das Genre Liebesroman. Aber das Buch ist anspielungsreicher, lustiger und heimtückischer, als man von einem solchen erwarten kann. Erzählt wird die Geschichte von Chlamydia Love, die bereits in ihrem Namen das Profane mit dem Heiligen vereint, die Geschlechtskrankheit mit der Liebe. Ihr Verlobter, Dr. Algernon Hertz, verspricht ihr zur anstehenden Hochzeit eine Tropeninsel, und die Beschenkte reist alleine voraus. Kaum angekommen, macht sie Bekanntschaft mit dem zwergenhaften Helmut Mandragorass. Dieser deutschstämmige Schriftsteller erweist sich als eine Art Mischung aus Truman Capote und, mal wieder, Adolf Hitler. Mandragorass wohnt in einem modernistischen Haus auf einem Vulkankegel, und ein Tanz auf dem Vulkan wird denn auch die verhängnisvolle und amouröse Beziehung zwischen den beiden Hauptfiguren.

„Nackenbeißer“ nannte man früher solche Geschichten um eine schwache Frau, die ihren Weg sucht und die Liebe findet. Das von Jake Chapman gezeichnete Cover erinnert an den genretypische Einband, auf dem zumeist ein reifer Mann einem Fräulein zärtlich den Nacken küsst. Doch schon das Umschlagbild des Briten zeigt, wie er das Genre pervertiert: Das erwachsene Kind Helmut wehrt sich gegen Chlamydias Leidenschaft. Diese Nackenbeißerei ist tatsächlich von schlechtem Atmen begleitet.

So manche Erzählbausteine hat sich Chapman bei den Filmen David Lynchs abgeschaut: der Zwerg, das gespenstische hochmoderne Haus, der Wechsel von Ausrasten und Entspannung bei den unberechenbaren Charakteren. Auch wenn die Geschichte hin und wieder auf der Stelle tritt, ihre lyncheske Unheimlichkeit macht sie dennoch lesbar und gar lesenswert.

Der schlechte Stil, die verdrehten Metaphern und der ironische Kitsch füttern den Irrsinn und die Diabolik nur weiter. Der Leser findet keinen Schutz in einer auktorialen Erzählperspektive. Der Erzähler selbst ist verrückt, wenn er Helge-Schneider-artige Wendungen benutzt wie „the old elderly woman“ oder Sprachbilder wie „Helmut appears over her shoulder like bird shit“.

Den Impuls, sein Publikum böse zu behandeln, abweisende Kunst zu produzieren und sich aufzulehnen gegen das Wahr-, Gut- und Schöngemeinte, kennt man von den Avantgarden des vergangenen Jahrhunderts: vom Dadaismus etwa, von der Antiform als Gegengift zur minimalistischen Reinheit oder von den bad painters, die bestmöglich, das heißt: schlecht möglich, anmalten gegen ihre eigene Bildproduktion und Virtuosität.

In der Literatur findet man ähn­liche Ideen: Thomas Mann hatte sicher seinen Heidenspaß, als er die Erzählung „Die vertauschten Köpfe“ schrieb und damit nicht nur den erbaulichen Indienkult parodierte, sondern auch seine eigene Meisterschaft. Und wie viel heimliche Lust machte es erst Philip Larkin, einem der größten Dichter Englands, als er unter einem Pseudonym – ein Frauenname! – den damals populären Internatsromane nacheiferte.

Nur: Wenn Jay Chapman nun als bildender Künstler einen Roman schreibt, dann gibt es keine eigene dichterische Könnerschaft, gegen die er aufbegehren könnte. Er wählt Schund als Understatement; der Nichtanspruch legitimiert seine Annäherung an eine neue Form (auf den hinteren Seiten des Buchs belehrt er Helmut und sich selbst in romantischer Ironie über das kleine Abc des Schreibens). Vor allem aber ist „The Marriage“ eine gute Entsprechung zur farcehaften Liebe zum Klischee, der sich Jake und Dinos Chapman in ihrer Kunst hingeben. Trotz aller formalen Raffinesse sind die Geschwister seit jeher dem Abgeschmackten zugeneigt. Oder wie soll man es nennen, wenn man so penetrant auf einer stark schematisierten Vorstellung von dem Urbösen, der Endzeit, der Hölle, den Nazis herumreitet?

Die Geschöpfe der Brüder werden im Roman beschrieben: Puppen mit Genitalien im Gesicht, die verstümmelten Nackten am Baum und andere Greatest Hits der Chapmans stehen in der Wohnung des Kunstsammlers Helmut Mandragorass herum und werden von Chlamydia bewundert. „Chlamydia erkannte nun, wie moderne Kunst erst die Menschheit von der tödlichen Enttäuschung befreite, die die Auslöschung des Geistes nährt. ‚O Ehe zwischen Vernunft und Elend!‘ jammerte sie.“

Dieses Buch verlängert die Wirkung der Chapman-Kunst in die Sprache hinein. Voodoo, Altnazis und edle Wilde, schmieriger Tropensex und billige Gewalt – die Geschichte hat alles, was Pulp-Art vom Schlage der Chapmans ausmacht. Als Zugabe sind im Buch wunderbare Aquarelle abgedruckt. Sie zeigen Inselromantik, die Chlamydia an ihrem ersten Tag zeichnet. 100 Seiten weiter sind dann überarbeitete, überzeichnete Versionen zu sehen: Aus dem Paradies ist eine Art Insel des Dr. Moreau geworden, eine typische Chapman-Landschaft.
Bis dahin sollte man als Leser durchhalten. So schwierig, wie vom Autor angekündigt, ist das nicht. Chlamydia fühlt sich aus unbegreiflichen Gründen von Helmut angezogen. Ähnliche dämonische Faszination geht vom Roman selbst aus: Dieses hässliche Ungeheuer macht den Leser fertig – aber schleift ihn doch mit fort.

Jake Chapman: „The Mar­riage of Reason & Squalor“. Fuel Publishing. 308 Seiten. 22,99 Euro.