Klaus Staeck

"Ein Diktator wird nicht durch Zureden zum Abdanken bewegt "

Die Akademie der Künste hat Maßnahmen gegen Gaddafi gefordert. Seit sechs Tagen fliegt die sogenannte „Koalition der Willigen“ Luftangriffe. Sind Sie zufrieden?
Zufrieden kann man nie sein, wenn es zu einem militärischen Schlag kommen muss, auch wenn er diesmal unter dem Schirm des Weltsicherheitsrates erfolgt. Die Hoffnung bleibt natürlich, dass Gaddafi entweder zum Einlenken gebracht oder zum Schweigen wird. Was kann man sich von einem Diktator anders wünschen?

Die Stellungnahme der Akademie bleibt recht vage: „Wir fordern die Regierungen auf, die Freiheitsbewegungen mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Kräften zu unterstützen.“ Schließt das Luftangriffe mit ein?
Das nicht unbedingt. Das können wir nicht fordern, weil die Akademie doch ein zu heterogenes Gebilde ist. Ich habe jetzt gehört, dass Martin Walser, ebenfalls Mitglied dieser Akademie, die Haltung der Bundesregierung begrüßt. Trotzdem gibt es eine Akademie-Meinung, die im Senat unserer Institution intensiv diskutiert wurde. Die Stellungnahme lehnt die Haltung der Bundesregierung ab. Auch wenn Deutschland bei der Sitzung des UN-Sicherheitsrates zugestimmt hätte, wäre damit nicht die Verpflichtung zur Beteiligung am Militärschlag verbunden gewesen. Durch die Enthaltung hat sich Deutschland nach meiner Überzeugung isoliert. Ein Lehrstück, wie man es sich mit einer falschen Entscheidung mit allen verdirbt.

Aber das Ziel, sich mit allen gut zu verstehen, kann doch nicht Grundlage für politische Entscheidungen sein. 2003 hat Deutschland auch Nein gesagt zum Irakkrieg, was Sie unterstützten.
Das ist nicht unmittelbar vergleichbar. Die Intervention damals beruhte auf falschen Voraussetzungen. Ich habe nie daran geglaubt, dass der Irak Massenvernichtungswaffen besitzt.

Und doch mag man im Zusammenhang mit Libyen an Ihre Arbeit „Big Mac“ von 2003 denken: Sie legt nahe, dass es im Irakkrieg nur darum ging, neue Märkte zu erschließen und Handelswege frei zu halten. Das ließe sich beim Libyen-Einsatz auch behaupten.
Das kann man nie trennen, das stimmt. Und deshalb gibt es auch diesmal wieder verschiedene Meinungen in der Akademie, die wir auch im Senat intensiv diskutiert haben. Wir führen nicht jeden Tag aktuelle politische Debatten.

Warum gerade zu diesem Thema? Warum nicht etwa auch zur erneut aufgebrandeten Diskussion um Atomkraftwerke?
Dazu haben wir auch einen Standpunkt. Aber die Ereignisse in Japan drohten die Vorgänge in Libyen zu verdrängen.

Holen Sie sich als Künstler auch Expertisen von außen hinzu?
Gelegentlich schon. Gerade in den Akademie-Gesprächen kommen Experten aus den unterschiedlichen Bereichen zu Wort. Wer engagiert ist, hat sich über die Ereignisse in Libyen informiert. Sonst kann man das Wort „Intellektuelle“ vergessen.

Hat die Akademie Kontakt zu libyschen Künstler?
Wir haben festgestellt, dass kaum jemand Kontakt zu Künstlern in Libyen hat. Wir hatten eine große Veranstaltung zu Ägypten mit einer Live-Schaltung nach Kairo und einem Grußwort von Harry Belafonte. Da haben wir schnell reagiert. Jetzt versuchen wir, Kontakte nach Tunesien aufzubauen.  Bescheidene Versuche. Aber besser als reines Zuschauen. Man kann nicht permanent die große Freiheitstrompete blasen und die Demokratiefackel leuchten lassen, und wenn es ernst wird, sich heraushalten. Ich bin dafür, ein Moratorium zu beschließen, die Begriffe „Freiheit“ und „Demokratie“ für eine gewisse Zeit nicht mehr zu verwenden. Was nutzen denn die schönen Sprüche „Gaddafi muss weg“? Dass ein Diktator nicht durch frommes Zureden zum Abdanken bewegt wird, ist doch wohl klar. Zumal er bis vor kurzem noch unser bester Verbündeter war.

Welche Möglichkeiten gibt es noch, sich gegen Gaddafi zu stellen?
Es gibt viele Maßnahmen. Was für mich unbegreiflich ist, dass die Bundesregierung sich auch aus dem Waffenembargo heraushalten und Schiffe aus dem Mittelmeer abziehen will.

1973 fragte Jörg Immendorf„Wo stehst du mit deiner Kunst, Kollege?“ Ist es heute schwieriger, sich als Künstler zu verorten?
Künstler, die diesen Anspruch für  sich erheben, blicken „über den Tellerrand des morgigen Abends“, wie Helmut Kohl einmal sagte. Damit sie nicht bloß Illustratoren des Weltgeschehens sind. Intellektuelle und Künstler haben einen anderen Erlebnisrahmen und sind nicht dem Wahlzwang ausgesetzt. Schlimm ist nur, wenn man gar nichts von ihnen hört. Und: Der Kunstfreund nimmt übel, wenn Politik zu sehr in die Kunst hineinragt. Dann gerät der Künstler schnell unter Generalverdacht, wenn er sich politisch äußert. Dabei hat sich das bürgerliche Bewusstsein einmal an der Kunst orientiert. Die Kunstvereine sind gegründet worden im Kontrast zu den Herrschaftsansprüchen des Adels, jene, die damals im Besitz der Kunst waren. Das war eine politische Handlung. Heute haben sich viele das dezidiert Politische abtrainieren lassen. Gucken Sie sich doch die Kunstmessen an!

Es gibt genug Gegenbeispiele.
Natürlich gibt es auch junge Künstler, die anders arbeiten.

Gerade hat sich etwa eine breite Allianz aus Künstlern zusammengefunden, um das Guggenheim zu bestreiken, solange die Institution beim Bau ihrer Filiale in Abu Dhabi nicht für die Einhaltung der Menschenrechte sorgt.
Nun versuchen Sie mal, etwas Vergleichbares in Deutschland auf die Beine zu stellen! Dennoch wird es immer einzelne und Gruppen geben, die sich politisch engagieren. Selbst die 68er waren in Sachen Kunst nicht die große Protestbewegung, wie viele heute noch annehmen.  Da galten koreanische Holzschnitte als Krönung des künstlerischen Schaffens, und das Künstlerische war als bürgerliche Beschäftigung verpönt.

Bislang hat kaum eine Zeitung die Stellungnahme aufgegriffen. Seltsam, oder?
Das wundert mich gar nicht. Es gibt nun einmal eine festgefahrene Meinung über das Schweigen der Intellektuellen.