Berliner Nationalgalerie

Ein Knistern in der Luft

Steht man ganz nah, hört man es knistern und sieht es flirren. Von weitem sieht es so aus, als hätte jemand ein zerfetztes T-Shirt über die erhabene Fassade der Alten Nationalgalerie geworfen: El Anatsuis gobelinartige Skulptur „Ozone Layer and Yam Mound(s)“.

Für die Ausstellung „Who knows tomorrow“ hat der in Ghana geborene Bildhauer tausende von Schnapsflaschen-Ummantelungen – ein fragwürdiges Mitbringsel der Europäer in Afrika – zu einem löchrigen Aluminiumteppich vernäht und über das Säulenportal gehängt. „DER DEUTSCHEN KUNST MDCCCLXXI“ steht seit Erbauung in goldenen Lettern auf dem Giebel darüber – ein Spiel, nicht nur mit der Historie des Baus. Darunter, auf der obersten Treppenstufe, sitzt ein zähflüssig wirkender Goldhaufen aus verbundenen Büchsenböden – eine Anspielung auf die ökonomische Vernetzung zweier Länder? Anatsui verwebt Geschichte mit Gegenwart, Deutschland mit Afrika und verweist damit auf die deutsche Verantwortung für die koloniale Vergangenheit.

Die Ausstellung vereint fünf Künstler mit afrikanischem Hintergrund an vier Orten der Berliner Nationalgalerie: vom Tempelbau der Alten Nationalgalerie über die Friedrichswerdersche Kirche und die Neue Nationalgalerie bis zum Hamburger Bahnhof. Nicht Afrika als solches ist ihr Thema, sondern vielmehr die geschichtlichen Verwicklungen und Wechselbeziehungen zwischen Europa und Afrika. 

Auch im Innenraum der Friedrichswerderschen Kirche ist diese komplexe Geschichte von Empire und Postkolonialismus zu erkennen. Auf der Empore versammelt der in Nigeria aufgewachsene Künstler Yinka Shonibare MBE 14 wild gestikulierende, kopflose Figuren in buntbedruckter Kleidung um einen Tisch und rekonstruiert den wohl verhängnisvollsten Augenblick in der Geschichte Afrikas: Die Aufteilung des Kontinents unter den Kolonialherren während der Berliner Kongo-Konferenz 1884/85.

In seiner zweiten Installation „Colonel Tarleton and Mrs. Oswald Shooting“ vor dem Altarraum, begegnet man zwei historischen Persönlichkeiten auf Fasanenjagd. Oberst Tarleton setzte sich vehement gegen die Abschaffung des Sklavenhandels ein, während Mary Oswald nach dem Tod ihres Mannes, einem Plantagenbesitzer, zu großem Reichtum kam. Das elitäre Vergnügen gleicht einem Gemetzel, werden sie doch in dem Moment gezeigt, da der Körper des Vogels über ihren Köpfen zerplatzt. Gedärme, Blut und Federn, aufgehängt an unsichtbaren Fäden, scheinen in Zeitlupe durch die Luft zu spritzen. Zwischen den Marmorskulpturen der Schinkel-Zeit wird klar: Erst durch die Ausbeutung der Kolonien war der Aufschwung Europas möglich. 

Andere Arbeiten der Ausstellung überzeugen weniger: So der etwas platte, grün-gelb-rote Flaggenwald von Pascale Marthine Tayou auf der Eingangsterrasse der Neuen Nationalgalerie oder die riesige, mit Schrottteilen verzierte Container-Mauer von António Ole im Hof des Hamburger Bahnhofs.

In der fünften Arbeit, dem Film „Waiting“ von der in Uganda geborenen Zarina Bhimji, bleibt die Kolonialgeschichte unter der Oberfläche. Die Filmemacherin hat Sisalfaser verarbeitende Fabriken gefilmt, die teilweise noch aus der Kolonialzeit stammen. Die Nahaufnahmen des Materials erinnern an weiße Bärte alter Männer und wirken wie für ein Stillleben drapiert. Dazwischen helles Licht, Werkzeug und kein Lufthauch. Vermischt mit einer melancholisch wirkenden Tonebene birgt der Film eine sehr sinnliche Kraft in sich. 

„Who knows tomorrow“ zeigt durchaus eine vorurteilsfreie Sicht auf Afrika und seine Kunst. Der Blick wird jedoch viel eher auf Vergangenes, statt auf das unbekannte Morgen gerichtet. Die gestellten Fragen zu gegenwärtigen Umbrüchen, Hierarchien und Klischees werden kaum beantwortet. Der Besucher bleibt in der räumlich auseinandergezerrten Ausstellung außerdem ein eher zufälliger Betrachter. So wird das Knistern schnell überhört.

verschiedene Orte in Berlin, bis 26. September