Sammlung Falckenberg

Ein Reh ohne Angst vor Rot, Gelb, Blau: Andreas Schulzes Auftritt in Hamburg

Vor grauem Hintergrund steht eine gedeckte Tafel: Darauf und davor sind diverse Designobjekte wie Lampen, Stühle, ein Kehrset, ein bemalter Porzellanteller, eine blaugelb gestreifte Krawatte platziert. Auf den ersten Blick identifizierbar ist der Hocker „Mezzadro“ der italienischen Brüder Achille und Piero Castiglioni. Der 1957 entworfene, rot lackierte Traktorsitz auf geschwungenem Fuß gilt als Designklassiker des 20. Jahrhunderts. „Ich kaufe nichts“ ist das 2004 entstandene Gemälde des Kölner Malers Andreas Schulze, 54, betitelt. Offenbar eine ironisch gemeinte Anspielung auf die durchaus spürbare Faszination des Künstlers für gut gestaltete Wohnaccessoires und andere Designobjekte. Allein seine Sammlung von rund 30 Tortenplatten mit geometrischem Spritzdekor der Bauhaus-Zeit füllt in der Ausstellung eine ganze Wand.

Schulze, der in der Hamburger Sammlung Falckenberg eine große Einzelausstellung mit dem Titel „Interieur“ zeigt, gilt vielen als eine Art „Missing Link“ der jüngeren Kunstgeschichte. Ein Künstler-Künstler, der zwar immer mal wieder in seiner Galerie Sprüth/Magers zu sehen war, aber selten im Museum. Gerade Künstlerkollegen wie etwa das Schweizer Duo Fischli/Weiss, der Brite Gary Hume oder die Brüder Gert und Uwe Tobias schätzen seine Arbeit. Eine größere Werkschau war eigentlich längst überfällig.

Innenräume voller Ungereimtheiten
Begonnen hat Schulze in den 80er-Jahren: Mit stillen, sehr aufgeräumt wirkenden Bildern, die, ganz entgegen dem Zeitgeist, weder expressiv noch gestisch waren. Obwohl er der Künstlergruppe „Mühlheimer Freiheit“ damals nahe stand, ist er stets seinen eigenen, von Trends und Moden unbeeinflussten Weg gegangen. Auf großformatigen Acrylgemälden entwirft Schulze eine komplett menschenleere Welt der unbelebten Objekte, biomorphen Formen und Landschaften. Hochartifizielle, abstrakte Formen wechseln sich ab mit malerisch konstruierten und variierten Pflanzen, Bergen oder Meereswellen.

Immer wieder tauchen Schnörkel und schneckenförmige Elemente auf: ob als blonde Locken, rote Chamäleonzunge oder dekorative Sofaverzierung. In gedämpften Pastelltönen entwirft Schulze fiktionale Innenräume voller Ungereimtheiten. Etwa auf dem Bild „Wohnzimmer“ von 1986: Wiederum ist ein weiß gedeckter Tisch zu sehen. Dahinter lugt der Kopf eines Rehes hervor, das in ein spärlich möbliertes Zimmer blickt. Die Objekte im Raum geben Rätsel auf: Auf dem Boden liegen L-förmige Wülste in den klassischen Malerfarben Rot, Gelb und Blau und unregelmäßige Kugeln, die an überdimensionale Erbsen erinnern.

Rauschen aus der Ferne
Schulze entwirft eine der Realität entrückte, aber auch reichlich unzeitgemäße Welt, in der deutsche Spießergemütlichkeit, Märchen- und Romantikbezüge, aber auch kunstimmanente Diskurse auf unaufdringlich miteinander in Dialog treten. Wer hat Angst vor Rot, Gelb, Blau? Das etwas naiv dreinblickende Reh offenbar nicht.

Auch auf den Wandmalereien Schulzes, die sich über mehrere Etagen der Phoenix-Hallen erstrecken, taucht diese Sehnsucht nach dem Ursprünglichen auf. Schulze überzieht das makellos weiße Treppenhaus mit romantisch anmutenden Fachwerkmotiven, in die er seine mit gotischem Zierrat angefüllten Bilder hängt. Irritiert reibt man sich die Augen - und fühlt sich wie im Heimatfilm der 50er-Jahre. Schulze spielt mit den geläufigen Klischees von deutscher Fachwerkidylle, unverschandelter Landschaft und gemächlich dahinfließenden Flüssen. Auf dem 2003 entstandenen Bild „Sofa mit Weinberg (Rheinlandschaft bei Bacharach)“ konterkariert er die zum touristischen Stereotyp erstarrte deutsche Flusslandschaft mit einem postmodern verspielten Sofa.

Einen der Ausstellungsräume hat er mit einem Bodengemälde versehen, das wie eine von asphaltierten Wegen durchzogene Grünfläche anmutet. Skulptural besetzt wird die an eine Mischung aus Möbelgeschäft und Lobby erinnernde Rauminstallation von Stühlen und Tischen, Designerlampen und einem großen Teppich mit Kugelmuster. Was sich hier auftut, ist eine Welt der Dinge, die ihr ganz eigenes Leben führen. Ein die Fantasie des Betrachters stimulierendes Bühnenbild, das sich selbst genügt und irgendwelcher menschlichen Darsteller überhaupt nicht bedarf. So öffentlichkeitsscheu und dezent aus dem Off agierend wie Andreas Schulze selbst, so schweigsam und zugeknöpft sind auch seine Bilder und Interieurs. Mehr als ein geheimnisvolles Rauschen aus der Ferne geben sie nicht preis.

Bis 27. Juni. Besichtigung samstags 15 und 17 Uhr im Rahmen einer Führung. Sondertermine möglich. Info und Anmeldung: 040-32506762 oder besuch@sammlung-falckenberg.de. Ein Katalog erscheint im September. Mehr Informationen unter
www.sammlung-falckenberg.de