Centre Pompidou, Paris

Eine Ausstellung zeigt unsere Städte als Themenparks

Ah, Paris! Dieser wunderbare Effekt, tritt man aus der Ausstellung heraus: Vom obersten Stockwerk des Museums überblickt der Besucher die Dächer der französischen Kapitale, und der Kontrast und die Erleichterung könnten kaum größer sein nach all den irren Reißbrettstädten und Luftschlössern, die das Centre Pompidou mit der Schau „Dreamlands“ vorstellt. Paris, die echte, die offene, die eher gewachsene als geplante Stadt.


Dabei deutet „Dreamlands“ an, dass auch die europäischen Metropolen mit einem guten Schuss Wahnsinn ausgestattet sind, der nichts mit städteplanerischer oder evolutionärer Vernunft zu tun hat. Gleich der erste Raum der von Didier Ottinger kuratierten Schau kreuzt die Pariser Weltausstellung 1889, an die heute noch der Eiffelturm erinnert, mit dem wenig später erbauten Vergnügungspark „Dreamland“ auf Coney Island.

 

Rem Koolhaas’ Studie „Delirious New York“, die hier mit Bildern illustriert wird, hatte 1978 darauf aufmerksam gemacht, wie sehr das Prinzip Rummelplatz in die Stadtplanung eingedrungen ist. Diese These verdeutlicht diese Ausstellung, auch wenn sie sich dabei jeder Wertung enthält.

 

Die Stadt als Achterbahn
Der Eifelturm markieren einen Ausgangspunkt: Der technische Fortschritt brachte die Architektur das Tanzen bei, das Bürgertum war erstarkt und selbstbewusst wie noch nie und die industrielle Revolution hatte nicht nur die Arbeit verändert, sondern auch die Freizeit. Die Schlösser und Paradestraßen der Monarchien hatten ausgedient, die Kathedralen des Mittelalters ohnehin, jetzt kamen Hochhäuser, Fake-Pomp und Achterbahnen.


Der unterhaltsame Ausstellungsparcours – selbst ein wenig Jahrmarkt: überall blinkt und funkelt es – führt mit 350 Exponaten den Besucher nach Disney-Land, Las Vegas, Hollywood, Dubai, New York, in die brandenburgische Urlaubssimulation „Tropical Island“ und in amerikanischen Vorstädte des Neuen Urbanismus’.

 

"Noch größer als das Original"

Bemerkenswert an dieser Schau, dass sich häufig auf den ersten Blick Kunstwerke kaum von dokumentarischen Ausstellungsstücken unterscheiden. Die architektonischen Modelle, Entwürfe und Fotografien offenbaren häufig eine solche imaginäre Kraft, dass sie als ihre eigene Parodie, zumindest aber als Kunst durchgehen könnten.


Da wirbt etwa ein Film mit hollywoodesken Bildern für das arabische Großbauprojekt „Falcon City of Wonders“, eine Retortenstadt, die, aus dem Weltall betrachtet, die Umrisse eines fliegenden Falken nachzeichnet. Dort werden die berühmte Bauwerke in Kopie auferstehen, auch der Eiffelturm, der „noch größer wird als das Original“.


Originalität, das ist ein Konzept aus dem 19. Jahrhundert. Heute geht es um Größe, Kontrolle und Spektakel. Die Stadt ist Bühne, Themenpark, Spielplatz und Repräsentation von Macht funktioniert – und Terroristen können diese Voraussetzungen für eigene Interessen nutzen. Terrorismus aber spielt in dieser gutgelaunten Schau nur eine kleine Rolle.

 

Monumental und monströs
Ausgestellt sind vor allem Künstler, die das Monumentale und Monströse lieben, die verwischenden Grenzen zwischen Wahrheit und Illusion: Andreas Gursky, Ed Ruscha, Thomas Struth, Mike Kelley, Dalí und ihre Kollegen aus asiatischen Boomländern, denen sich das Thema geradezu aufdrängt.


Die meisten künstlerischen Einlassungen unterliegen der Faszination am Spektakel – von den ökologischen und sozialen Kosten dieser Entwicklung erfährt man hier nur in Andeutungen. Auch hätte man sich noch eine genauere Analyse auf die durch die digitale Kultur veränderte Wahrnehmung von städtischem Raum gewünscht.

 

Dennoch öffnet „Dreamlands“ den Blick auf ein Phänomen, das so bildmächtig und dringend ist, dass die Ausstellung gar nicht langweilen kann. Auch wenn draußen noch so sehr das echte, das alte, das lebendige Paris lockt.

 


Bis 9. August, Centre Pompidou, Paris. Mehr Informationen unter www.centre-pompidou.biz