US-Maler David Reed

Abstraktion als Zeitmaschine

Seit über vier Jahrzehnten malt David Reed abstrakte Bilder, er hat Farbfeldmalerei genauso in sich aufgenommen wie die Pop Art. Jetzt nutzt er alle Finessen der digitalen Technik, und selten sieht man Malerei, die ihre eigene Geschichte auf so heutige Weise präsent hält wie seine barock überbordenden Leinwände. Elke Buhr hat den Künstler in Zürich getroffen

David Reed ist keiner, der gern im Eröffnungstrubel schnell ein paar Weisheiten loswird, er möchte lieber vorher in Ruhe reden. Als wir uns in der Galerie Häusler Contemporary in Zürich treffen, ist alles fertig und er ein bisschen blass: der Jetlag, er ist aus New York angereist

Reed, 72 Jahre alt, ist eine anrührende Mischung aus jungenhaft und zerbrechlich und für einen dann doch recht berühmten Künstler fast ein bisschen schüchtern. Er ist erleichtert, als ich ihn bitte, mit mir durch die Ausstellung zu gehen. Es rede sich besser, wenn man ein Werk vor sich hat, sagt er.

Und was das für besondere Bilder sind! Wir bleiben vor einem extremen Querformat stehen, auf dem sich wilde Formen irgendwo zwischen Graffiti und abstraktem Expressionismus in blau und rot überlagern, darüber, in knallrot, sitzt auf einer roten Farbwolke ein breiter Pinselstrich. Reeds Abstraktionen verwirren in vieler Hinsicht. Von weitem sehen sie extrem plastisch aus, als klebten da knallfarbige Würste auf dem Bild. Doch wenn man näher kommt, sieht man, dass das Dreidimensionale ein Effekt des Farbauftrags ist. Die dünne, glatte Transparenz der sich überlagernden Farben sieht aus wie gesprüht, ist aber, wie Reed erzählt, mit einer Mischung aus Öl- und Acrylfarbe gemacht, die er mit einer Art Spachtel aufträgt. Gerade hat er einen neuen gekauft, um die Ecke der Galerie, in einem dieser tollen Läden, wie man sie wohl nur in der Schweiz findet: von oben bis unten voller perfekter Victorinox-Messer.

Es ist schön, mit Reed vor einem seiner Bilder zu stehen und immer tiefer einzusteigen in dessen Entstehungsgeschichte. Kunst, wie er sie praktiziert, ist das Ergebnis einer langen Kette von Entscheidungen, alles hätte auch anders sein können. Er habe sehen wollen, wie die Farbe reagiert, wenn er auf der einen Seite gelb, auf der anderen Seite weiß grundiert, erzählt Reed. In manchen Phasen lässt er seine Hand einfach tun, was sie tut, dann setzt wieder die Kontrolle ein. Der breite Pinselstrich, der pastos oben auf dem Bild sitzt, ist eine Art Selbstzitat: Reed scannt eigene alte Pinselstriche, druckt sie mit dem 3-D-Drucker aus und setzt sie dann auf neue Bilder. Da sitzen sie mit comichaftem Witz, als Prototypen, manchmal noch mit einer Art Sprechblase umgeben, was ihre Zitathaftigkeit noch deutlicher macht.

Seit mehr als vier Jahrzehnten malt David Reed abstrakte Bilder, er hat den Abstrakten Expressionismus und die Farbfeldmalerei genauso in sich aufgenommen wie die Pop Art, jetzt nutzt er alle Finessen der digitalen Technik – selten sieht man Malerei, die ihre eigene Geschichte auf so heutige Weise präsent hält wie seine barock überbordenden Leinwände. Die Tiefe, die man in ihnen wahrnimmt, ist gleichzeitig ein Trick des Farbauftrags und ein Effekt einer langen Praxis. Wie viele Stunden hat David Reed in seinem Atelier verbracht und mit Farbe und Leinwand Gesten ausgeführt, die ihm bedeutsam erschienen? Dieser Nachmittag mit ihm vor seinen Bildern fühlt sich an wie eine Entschleunigungskur: Bleib stehen, schau genau hin! Denk mal kurz an nichts als an die verschiedenen Effekte, die Farben und Formen auf deine Wahrnehmung und deine Psyche haben!

Vier Bilder stechen heraus, schwarz-weiße extreme Hochformate, die fast an chinesische Kalligrafie erinnern. Ihnen liegen Kopien von Bildern zu Grunde, die Reed in den 70er-Jahren gemacht und dann zerstört hatte. Damals malte er noch viel minimalistischer, setzte schlichte, horizontale Pinselstriche auf die schmalen Leinwände. Als er einmal eine Diagonale hinzufügte, war es den Kritikern schon zu viel. Sie müssen dogmatisch gewesen sein, diese 70er in New York. Reed, verunsichert, zerstörte die Bilder. Erst jetzt glaubt er, verstanden zu haben, was ihn damals ritt. Die Diagonale, so zeigt er, entspricht einer sehr ursprünglichen Geste der Hand, sie verankert den Körper im Bild. Jetzt ist sie wieder da, und ein jüngerer Pinselstrich per 3-D-Drucker drübergelegt, wie ein anerkennender Stempel der Gegenwart. Hier ist einer einen weiten Weg gegangen und findet doch immer wieder zurück zur ursprünglichen Frage. 

Wir blättern im Katalog zu der Ausstellung "Painting Paintings (David Reed) 1975", die im vergangenen Jahr bei Gagosian gezeigt wurde, kuratiert von Katy Siegel und dem Maler Christopher Wool. Wool hatte kurz nach Reed an der New York Studio School studiert, unter anderem bei Philip Guston. 1975, in dem Jahr, als Reed zum ersten Mal in einer Whitney Biennale vertreten war, sah Wool eine Ausstellung von ihm und war beeindruckt. Die Schau bei Gagosian erinnert an ebendiese Ausstellung, im Katalog sind die Hochformate mit den horizontalen Strichen und mit der Diagonale wieder da, dazu wird das Umfeld dokumentiert, die Konzeptkunst, die Minimalisten. Kunstgeschichte. 

Geboren wurde Reed 1946 in San Diego, ganz nah an der Grenze zu Mexiko, aber damals extrem segregiert, vom Militär geprägt. Ein Onkel war Architekt, ein anderer Galerist, aber der Vater war konservativ und hatte keinen Sinn für Kunst: "Es war klar, dass ich da weg musste", erzählt er abends beim Dinner. Aber warum nach New York und nicht nach Los Angeles, was ja viel näher gelegen hätte? "Die Künstler in Los Angeles schienen mir alle so Surfer-Machos zu sein", sagt er. Dann lieber die Ostküste. Sein persönliches Kalifornien trägt Reed bis heute in sich, in den leuchtenden Farben seiner Bilder.

Wir sprechen dann noch über Sam Gilliam, den afroamerikanischen abstrakten Maler, noch ein paar Jahre älter als Reed, der gerade in Basel diese großartige Ausstellung hatte, und über Reeds Weggefährtin Mary Heilman, die er 2015 einlud, mit ihm im Hamburger Bahnhof in Berlin auszustellen. Dass sie spät so eine Karriere gemacht hat, dass auch die afroamerikanischen Künstler wie Gilliam jetzt endlich die Anerkennung bekommen, die sie verdienen, freue ihn ungeheuer, sagt Reed noch. Dann steigt er ins Taxi. Um die zwölf Bilder malt er im Jahr, Painting Paintings, ein ganzes Leben lang. Er würde gern mehr schaffen, denn damit fertig ist er noch lange nicht.

David Reeds Ausstellung "I'm trying to get closer but I'm still a million miles from you" bei Häusler Contemporary, Zürich, läuft noch bis 12. Januar 2019