Solidarische Praxis statt einsame Monologe

Eine Verteidigung des Kollektiven in der Kunst

Die Tendenz zum Kollektiven in der Kunst trifft auf Widerstand - angeblich wird gestalterische Freiheit für politische Ziele geopfert. Dabei ist Kunst in Gemeinschaft gerade genau das Richtige. Einige Überlegungen

"Aus Dir wird Wir" – mit diesem Slogan wirbt derzeit eine Fitnessstudio-Kette in Berlin. Ausgerechnet die Branche also, die bisher für die körperliche Selbstoptimierung leistungsorientierter Subjekte sorgte. Nun baut man offenbar auf ein solidarisches Gefühl und fragt: "Wieviel Wir steckt in Dir?"

Da scheint im Zeitgeist angekommen zu sein, was in den vergangenen Jahren den Diskurs nicht nur in Philosophie, Soziologie und Kunsttheorie mitbestimmt hat. Nämlich die Kritik an einem die Individualität betonenden Eurozentrismus, die im Feminismus und in der postkolonialen Theorie zu einer Analyse der Herrschaft des "Weißen Mannes" führte. Zudem wird die Rolle des Subjekts im Anthropozentrismus hinterfragt, stellt doch diese (westliche) Weltanschauung das vernunftbegabte Ich des Menschen "erhaben“ über die übrige Natur - und gibt ihm so das Recht, die Ressourcen seiner Umwelt rücksichtslos auszubeuten.

Eine wegweisende Antwort auf diese Überlegungen ist die Idee der Poly-Subjektivität, die der Begründer der Theorie der relational aesthetics, Nicolas Bourriaud, in das diskursive Spiel eingebracht hat. Subjektivität wird von ihm als ein Selbstverständnis begriffen, das sich aus vielfältigen Beziehungen mit der Welt, ihren Menschen, aber auch mit Tieren und Pflanzen speist. In dieser Beziehungsarbeit wird die Vorstellung des Menschen als "monolithisches Individuum" aufgegeben. Die Idee der Poly-Subjektivität hat zwangsläufig auch Folgen für künstlerisches Arbeiten, das Bourriaud nun in "Kollektiven, die weit über die menschliche Gesellschaft hinausgehen" verortet. Der Künstler als Einzelkämpfer spielt keine Rolle mehr.

Ein Kollektiv aus Bienen und Menschen

Dieses Selbstverständnis ist im Kunstbetrieb inzwischen fest verankert. Vor allem in Projekten zur Klimakatastrophe sieht man immer öfter Kollektive künstlerisch arbeiten. Und in dieses Schaffen ist oftmals die kreative Kraft der Natur als gleichberechtigter Mitarbeiter integriert. So etwa in Allesandro Saus Projekt "Ways of Seeing", seit 2013, in dem er Bilder seiner Heimat Sardinien malt und diese anschließend von Bienen dieser Inseln künstlerisch "bearbeiten" lässt, indem sie ihre Waben auf die Rückseite der Leinwand anbringen.

Da beide Seiten der Bilder sichtbar sind und sich diese im Prozess ihrer Entstehung zunehmend durchdringen, gestalten Künstler und Bienen gemeinsam als Kollektiv diesen "Atlas Sardiniens gesehen durch die Augen der Bienen und des Menschen" (Sau). Auch die Kunst von Olafur Eliasson und seinem in Berlin arbeitenden Team lebt immer wieder davon, dass sie von Mensch, Natur und Umwelt gemeinsam in Form gebracht wird.

So etwa im Sommer 2021 in der Installation "Life", als ein Teich inklusive begehbaren Holzstegen im Ausstellungsraum der Fondation Beyeler installiert war. In diesem Gesamtkunstwerk lebte dann nicht nur sich schnell vermehrende Entengrütze, es fühlten sich auch diverse Kleinstlebewesen wohl, die das dynamische "Life-Bild" kollektiv prägten.

Den Diskurs der letzten zehn Jahre verschlafen

Die im Juni eröffnende Documenta 15 schließlich wird erstmals von einem Kollektiv, der Gruppe Ruangrupa aus Indonesien, kuratiert. Dieses hat als Konzept der Ausstellung die Prinzipien von Lumbung - einer gemeinschaftlichen Verteilung von Ressourcen - ausgegeben: "Angesichts der aktuellen Entwicklung zeigt sich das Konzept von Lumbung mit seinen Werten von Solidarität und Kollektivität nun von größerer Bedeutung und Relevanz denn je. In Momenten, in denen so viele Menschen die Ungleichheit und Ungerechtigkeit der herrschenden Systeme zu spüren bekommen, kann Lumbung zeigen, dass die Dinge auch anders gelöst werden können".

Kollektivität und Politisierung bestimmen also das Konzept der kommenden Documenta, in dem Ökologie ein zentrales Thema ist. Da ergibt es Sinn, dass fast ausschließlich künstlerische Kollektive auf der Teilnehmerliste stehen und die "Stars" aus dem Kunstbetrieb fast gänzlich fehlen.

Das wertkonservative Feuilleton schießt sich bereits auf dieses Konzept ein und konstatiert, dass die Kunst essenziell auf individuelles Schaffen angewiesen sei. Die Politisierung der Kunst nehme der Kunst außerdem ihren Freiraum und instrumentalisiere sie. Dass diese Kritik den Diskurs der letzten Jahrzehnte offensichtlich verschlafen hat, ist das Eine. Das Andere ist, dass sie so den Kern avancierter Kunstproduktion souverän verkennt.

Experimente und Lernprozesse

Ein gutes Beispiel hierfür ist die Arbeit des Berliner *foundationClass*collective, das auf der Documenta 15 vorgestellt wird. Künstler und Künstlerinnen mit und ohne Migrationshintergrund thematisieren da gemeinsam Rassismus und Ausgrenzung, indem sie diverse widerstandsfähige Gesellschaftsmodelle entwickeln. In diesem Sinne wird die Gruppe zum Beispiel den Prototyp eines selbstverwalteten "Laboratoriums" installieren, in dem künstlerische Experimente sich genauso ereignen wie kollektive Lernprozesse. In dieser engagierten Aktivität bündeln sich dann die Fähigkeiten unterschiedlicher "Herkünfte", Ausbildungen und Erfahrungen.

Die Kunst des *foundationClass*collective lässt sich nicht stichhaltig kritisieren, indem man immer noch das geniale Subjekt mit seinen "einsamen Monologen" (Bourriaud) als einzig möglichen Kunstproduzenten behauptet. Und indem man immer noch im Fahrwasser von Immanuel Kants Diktum des "interesselosen Wohlgefallens" politische Kunst, die ja spätestens seit George Grosz zum Kanon gehört, als unfrei diffamiert.

Solch altbildungsbürgerliches Denken ignoriert sträflich die Eingebundenheit der Kunst in gesellschaftliche und zeithistorische Kontexte. Da ist selbst besagte Fitnessstudio-Kette schlauer.