Frieze Art Fair 2009

Einfach mal runterkommen

Da steht er und telefoniert, während es um ihn herum rauscht und flüstert. Immer am Kontakteknüpfen und Projektemachen, immer mitten im Austausch und Eintüten. Es ist der Preview-Tag der Londoner Kunstmesse Frieze, gerade fliegt die Nachricht durch das Messezelt, dass Hans Ulrich Obrist, der Superkurator und Co-Direktor der Serpentine-Galerie, im vielbeachteten Ranking der Zeitschrift Art Review zur wichtigsten Person der Kunstwelt gewählt wurde. Man würde gerne hingehen, ihm auf die Schulter klopfen. Doch auch in den nächsten Tagen wird er nur telefonierend an einem vorbeigleiten, den Blick gerichtet auf eine unbestimmte aber hoffnungsvolle Zukunft. Als wäre die Frieze im Moment gar nicht so wichtig.
 
Welchen Stellenwert besitzt denn diese bedeutendste britische Messe für Gegenwartskunst noch? Diese Frage trieb in dieser Woche Galeristen, Besucher und Künstler um. Fast 30 Galerien – vor allem aus Amerika – hatten im Vorfeld ihre Teilnahme abgesagt. Dabei galt die vor sieben Jahren gestartete Messe als eine der wichtigsten der Welt. Da war vor allem das Umfeld: ein lichtes Zelt im Regent’s Park statt muffiger Messehallen, echte Stars mit echtem Kunstinteresse und vor allem und in großer Masse kaufkräftige Sammler.

Eine veränderte Ausgangslage
Dass sich die Kunstwelt im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise radikal geändert hat, zeigen etwa die Art-Review-Charts: Im vergangenen Jahr stand dort noch Damien Hirst auf Platz eins. Der erste Kurator der damals hier auftauchte war Daniel Birnbaum auf Platz 13. Nun wird man also seriös – und das erlebt man auch auf der Messe: Vorbei sind die Zeiten, als die Stände in den ersten Stunden ausverkauft waren. Vorbei ist auch die unangenehme Eigenart, dass Galeristen den Journalisten lediglich Erfolgsmeldungen ins Notizheft diktierten. Heute gibt man auch gerne mal seiner Sorge Ausdruck.
 
Doch dazu besteht nach den ersten drei Messetagen eigentlich kein Grund, und die Aussteller geben Entwarnung. Zwar sind augenscheinlich weniger Leute zur Preview gekommen, und statt über Jude Law oder Kate Moss freut man sich auch über das Krawallmädchen Lily Allen oder Indierocker wie den Sänger der Band Razorlight. Aber es wurden durchaus Geschäfte gemacht, jedenfalls mehr als im letzten Jahr. Nur entscheiden sich die Sammler eher für mittel- und kleinformatige Arbeiten.

Kunst mag Krise
Es ist die erste Frieze, bei der die Kunst auf die Krise reagieren kann. Und tatsächlich beziehen sich viele Arbeiten in den 165 Ständen direkt auf die neue Situation. Von Rirkrit Tiravanija etwa sind bei Gavin Brown aus Zeitungen zusammengeklebte Bögen zu sehen (und für 90.000 Dollar zu kaufen), darauf steht in großer Schrift und falschem Englisch das Menetekel: „The Days Of This Society Is Numbered“. Bei Georg Kargl findet sich eine ähnliche Arbeit von Thomas Locher, der einen Marx-Spruch auf blutrote Leinwand gemalt hat. Ed Ruscha lässt grüßen. Dessen große Retrospektive eröffnete dieser Tage in der Hayward Gallery. Seine Händler, Gagosian und die Wilkinson Gallery, haben Arbeiten mitgebracht.
 
Auch Damien Hirst feierte eine bemerkenswerte Eröffnung: Nicht weniger als eine „Neuerfindung des Künstlers Damien Hirst“ sollen seine dunkelblauen Gemälde sein, die er in der Londoner Wallace Collection ausstellt. Die britische Presse hat in den vergangen Tagen fast durchgehend mit Ablehnung reagiert. Auf der Frieze selbst kann man sich kein Urteil bilden: Seine Galerie White Cube bietet lediglich einen Instrumentenschrank für fünf Millionen Dollar an. Das graue Totenkopfbild, das daneben hängt, sieht zwar aus wie ein „neuer“ Damien Hirst, ist aber von Zhang Huang, der in den Galerienräumen von White Cube auch gerade eine Einzelausstellung präsentiert.

Farbverlust in der Sonderabteilung „Frame“
Das Unbekannte sucht man vielleicht lieber in der neugeschaffenen Sektion „Frame“. Damit holt sich die Frieze die Atmosphäre der Parallelmessen, die seit diesem Jahr bis auf die Messe Zoo ohnehin nicht mehr existieren, ins eigene Zelt. Wenn es sich für den Besucher anfühlt, als hätte jemand die Farbe aus der Messe rausgedreht, dann ist er da. Die 29 Galerien, die alle jünger als sechs Jahre sind, stellen Kunst aus, die vor allem dadurch auffällt, dass sie nicht auffallen will. Als hätten sie sich abgesprochen. Eine Ausnahme und ein echter Höhepunkt hier ist der neue 16-mm-Film „Cities of Gold and Mirrors“ von Cyprien Gaillard bei Laura Bartlett. Der 29-Jährige hat in der mexikanischen Stadt Cancún, die 1970 erbaut wurde, psychedelische Aufnahmen gemacht, die fatale Städteplanung als paranoiden Trip erleben lässt.
 
Gegenüber läuft zum Runterkommen ein Film der dänischen Künstlergruppe Superflex: Dort redet ein Hypnotiseur auf den Betrachter ein, er solle bitte einfach mal loslassen. Ja, es sei alles außer Kontrolle geraten in der Krise, ja, die Idee der Liberalen von einer „unsichtbaren Hand“ habe sich als Trugschluss erwiesen, aber das ist egal: Jetzt heißt es, sich drauf einzulassen und glücklich sein. Augen bitte wieder öffnen.

Alles wirkt so – leicht
Dermaßen bearbeitet erfreut man sich auch an den Riesenformaten, die keiner mehr so ohne weiteres kaufen will oder kann: Luc Tuymans wunderbares Bild „Wonderland, das Zwirner für 1,4 Millionen Euro anbietet, Paul McCarthy lustige Parodie „Henry Moore Bound to Fail“ im Skulpturenpark neben dem Messezelt. Oder Ugo Rondinones weißer Baum bei Eva Presenhuber, der wie dem Park zugehörig im Zelt steht. Kunstwerke, die wie Pflanzen und Mineralien einfach da sein dürfen, ohne dass man als Messebesucher über Käufer und Preisrekorde reden. Alles wirkt so – leicht. Jetzt muss nur noch jemand Hans Ulrich Obrist Bescheid geben, dass er sich entspannen darf.


Noch bis zum 18. Oktober. Mehr unter www.friezeartfair.com