"On:Off"-Kolumne

Soll das etwa unsere Zukunft sein?

 Mercedes-Benz  präsentiert das Konzeptfahrzeug Vision AVTR wird im Rahmen der Technik-Messe CES in Las Vegas
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Mercedes-Benz präsentiert im Rahmen der Technik-Messe CES in Las Vegas das Konzeptfahrzeug Vision AVTR

Wo ist das nächste große Ding? Wo sind die Innovationen? Technik für ein besseres Morgen sollte eigentlich auf der Elektronikmesse CES in Las Vegas zu finden sein. Doch unser Technik-Kolumnist Ji-Hun Kim ist enttäuscht

Dieser Tage findet in Las Vegas die Consumer Electronics Show (CES) statt, mittlerweile eine der wichtigsten Handelsmessen überhaupt, auch weil über die Jahre die Automobilindustrie immer mehr Showrooms und somit Aufmerksamkeit buchte. Statt auf reine Automessen zu setzen, wollen sich Mercedes, BMW, Hyundai und viele mehr als Produzenten von Smart Devices und KI auf Rädern präsentieren. Das ist gelebte Konvergenz.

Das wird dieses Jahr auch darin deutlich, als das japanische Unternehmen Sony sein erstes Konzeptauto der Firmengeschichte vorstellte. Sony ist weltweit der wichtigste Hersteller von Kameramodulen und -sensoren, wieso nicht gleich die hauseigenen Technologien in ein E-Auto verbauen und selbst vermarkten, so schwer ist das heute ja nicht mehr – die Sache mit dem Auto bauen.

 Vision-S, das erste Auto von Sony
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Vision-S, das erste Auto von Sony

Aber 2020 sollte eigentlich kein Jahr werden, in dem globale Branchen, egal welcher Natur, so weiter machen könnten wie die Jahrzehnte zuvor. Daher muss man im Duktus von Mike Meiré schon mal polemisch nachfragen dürfen: Wo ist das nächste große Ding? Wo sind die Innovationen? Wo ist die digitale Technologie, die unseren Planeten retten wird?

Pustekuchen. Die digitale Konsumwelt heute befindet sich meiner Einschätzung nach da, wo sich die Autoindustrie vor in etwa zehn Jahren befand. Der Markt gesättigt, die Marken innovationsarm, ziellos, auch bedingt durch das pathologische Festhalten am Wachstum, ständigem Absatz und Produktion. Irgendwer muss das Zeug doch kaufen.

Fairerweise muss man sagen, dass die CES schon immer eine verspielte Messe gewesen ist. Technologien sollten auch unbedingt einen spielerischen kreativen Zugang zulassen. Prototypen dürfen auch mal Nonsens sein. Aber wie auch bei kostspieligen Concept Cars sollte zumindest eine Idee, eine Vision erkennbar sein. Etwas, das einen wirklichen Nutzen oder Hilfe antizipieren lässt. Die Hoffnung hierfür liegt derzeit bei den allermeisten auf KI.

Das Schöne an der digitalen Konvergenz ist, dass sie so vielfältig implementiert werden kann. So wie über die letzten Jahre in nahezu jede Technikkategorie WiFi, Bluetooth und andere Schnittstellen integriert wurden, ist nun KI an der Reihe. Sprachassistenten wie Alexa und Google Assistant kennt man bereits. Aber da ist noch eine Menge Platz.

Wie wäre es mit Lulupet, der smarten Katzentoilette? Die installierte KI verspricht, mit ihren Kameras und Sensoren in den Fäkalien der Feline Krankheiten zu entdecken. Falls es mehrere Katzen gibt, erkennt Lulupet gar die Gesichter per Gesichtserkennung, damit auch ja kein Köttel der falschen Katze angeschrieben wird. Wittert die KI Unregelmäßigkeiten, schlägt sie bei Frauchen und Herrchen Alarm. Praktisch.

Ebenfalls praktisch ist der von der Firma MOEN präsentierte KI-kompatible Wasserhahn für die Küche. Diesen verknüpft man mit Alexa oder Google Assistant. So kann man (falls man während des Kochens wieder Instagram-Stories machen muss) rufen: "Alexa, gib mir 640 Milliliter lauwarmes Wasser.“ Eine intellektuelle Glanzleistung, die hier einem abgenommen wird. Hätte ich so einen Wasserhahn, würde ich mich nicht nur wie ein Gehirnchirurg fühlen, auch würde ich jedes Mal mit einem Messbecher arbeiten, um stolz mir und den Gästen zu zeigen, wie akkurat das System funktioniert. Investitionen sollen sich ja lohnen. Look mum, no hands. Toll.

Das koreanische Chaebol-Unternehmen Hyundai hat mit Uber zusammen das S-A1 Air Taxi vorgestellt. Da haben wir nun das hochgejazzte Flugtaxi, von dem deutsche Politikerinnen und Politiker so oft triefend tagträumen. Nur dass die Größe des E-Fluggeräts eher der eines Harrier Jets als der eines Taxis entspricht. Einen halben Fußballplatz Landefläche sollte man hierfür circa einplanen. Auch S-A1 will vollautonom per KI fliegen können. Bis zu fünf Passagiere finden darin Platz und maximal 100 Kilometer Reichweite sind drin. Das ist gelinde gesagt, nicht viel. Wie das à la Ridesharing demokratisch im urbanen Alltag funktionieren soll, keine Ahnung. Eher kann man sich S-A1 als Scheich-Spielzeug für kurzweilige CO2-neutrale Antilopen-Treibjagden vorstellen.

 Ein Modell des geplanten Lufttaxis von Hyundai. Das Fluggerät soll vier Passagieren und einem Piloten Platz bieten und auf der Lufttaxi-Plattform des Fahrdienst-Vermittlers Uber eingesetzt werden
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Ein Modell des geplanten Lufttaxis von Hyundai. Das Fluggerät soll vier Passagieren und einem Piloten Platz bieten und auf der Lufttaxi-Plattform des Fahrdienst-Vermittlers Uber eingesetzt werden

Der koreanische Konkurrent Samsung bringt mit Ballie eine der vermeintlich putzigsten KI-Anwendungen aufs Tapet. Ein stalkender Tennisball, der Haustier und Nanny zugleich sein will. Die animalisierte Inkorporation der eigenen selbstermächtigten Smart-Home-Überwachung. Ballie erinnert an BB-8 von Star Wars und glaubt man dem PR-Video, kann sogar der vereinsamte hospitalistische Hund von so einem Roboter profitieren. Eine einmalige Win-Win-Situation. Als Zyniker müsste man fragen, ob AI im Consumer-Bereich nicht die eigentliche Lagerfeld-Jogginghose der noch jungen 2020er-Jahre ist.


Neben KI sind Fernseher (mal wieder) ein großes Thema auf der CES. Der nächste weltweite Standard 8K steht bereit. Allerdings wird auch in diesem Sektor das zähe Mindset der Branche deutlich. Dabei stellen die 8K-Fernseher an sich erstmal kein großes Problem dar. Es ist der Content. Denn umso schärfer Videodateien auflösen, desto größer werden sie auch. Derzeit schon sind 80 Prozent aller im Internet distribuierten Daten Videos. Videos waren im Vergleich zu Audio, Text oder Fotos schon immer wesentlich größer. Der SWR schätzte 2018 den gesamten Stromverbrauch der Netzinfrastruktur in Deutschland pro Jahr auf 55 Terawattstunden. Das entspräche der Leistung von zehn mittelgroßen Kraftwerken. Das würde bedeuten, dass acht der zehn Internet-Kraftwerke in Deutschland ausschließlich Strom für Streams auf Netflix, Prime, Pornhub, Mediatheken, YouTube, TikTok und Co. produzieren.

Heute wird der Großteil zwar noch auf Full HD gestreamt. Aber langsam wächst der Anteil an 4K-Content und dieser Sprung alleine bedeutet schon eine Vervierfachung der Datenmenge. Videos in 8K ergo 16 Mal so groß wie jene HD-Videos, die heute von den meisten zuhause und auf den Smart Devices gestreamt werden. Zugegebenermaßen kommt jetzt eine Milchmädchenrechnung. Aber angenommen, wir würden heute bereits alle unsere Videos auf dem kommenden Standard 8K konsumieren, bräuchten wir statt der acht Kraftwerke pro Jahr allein für Videos hundertachtundzwanzig. Wie das langfristig funktionieren soll, darauf scheint die Tech-Branche(Content und Hardware) offenbar auch noch keine Antwort zu haben. Nachhaltige Zukunftsversprechen sehen in der Tat anders aus.