Kunstfestival Elevation 1049 in Gstaad

Die Energie aus Widersprüchen

Gstaad ist als Ort der Superreichen bekannt, aber auch für das Kunstfestival Elevation 1049. In diesem Jahr hat Stefanie Hessler eine feinsinnige Schau zum Thema "Energies" kuratiert - und Theaster Gates verzaubert die Schweizer Alpen 

Das Kleinflugzeug, das vor dem Fenster langsam in Richtung Startbahn rollt, heißt "Oh-Man". Was als Stoßseufzer sehr gut passt zu Gstaad, der Spielwiese des reichen Jetsets – nur, dass man Kleinflugzeugbesitzern diese Selbstironie nicht zugetraut hätte. In Gstaad City stehen wunderschöne, traditionell verzierte Holzchalets, auf deren Fassade die Namen Louis Vuitton oder Prada prangen. Und nein, es handelt sich nicht wie in Marfa, Texas, um eine parodistische Installation von Elmgreen und Dragset

So ist es wenig überraschend, dass es hier auch einen kleinen Flughafen gibt, wo die Helikopter abheben, die in den Skigebieten die Lawinensituation überprüfen, aber eben auch die Privatjets, die dem Jetset ihren Namen geben. Überraschend ist allerdings, was drinnen in dem temporär zu einem Veranstaltungsort umgewandelten Hangar passiert. Da ist an diesem ersten Februarwochenende der Künstler Theaster Gates mit der Band Black Monks of Mississippi zu Gast und führt das staunende Publikum durch eine Klangreise von Soundexperimenten über Blues bis zu Gospel. Und wenn die umeinander tanzenden Improvisationen von Männerstimmen, Kontrabass und zugespielten Effekten verklungen sind, bleibt man ehrfürchtig zurück – ein Gefühl, das beim Blick auf die Alpengipfel rundherum ja sowieso die Grundeinstellung ist.

Theaster Gates ist so etwas wie der Stargast des Kunstfestival Elevation 1049 in Gstaad. Zwei seiner großen Bronzeskulpturen, die typischen Hafenpollern und anderen nautischen Symbolen nachempfunden sind, stehen wie vom Himmel gefallen auf einem Schneefeld außerhalb des Ortskerns. Andere Keramiken, die für seine große Ausstellung in der Luma Foundation Arles entstanden sind, bevölkern eine ehemalige Schreinerwerkstatt, die jetzt zur temporären Ausstellungshalle für "Energies" geworden ist, so das Motto in diesem Jahr.

Der Nachklang von Steinzeithöhlen

Das Festival, veranstaltet von der Luma Foundation der Sammlerin Maja Hoffmann, hat in früheren Versionen meist auf Außeninstallationen und Performances gesetzt. Diesmal, unter der Gastkuratorin Stefanie Hessler, liegt der Schwerpunkt stattdessen auf einer Gruppenausstellung im Innenraum. Und so ist ein riesiges Gemälde von Louisa Gagliardi, das effektvoll einen ehemaligen Umspannturm auf einem anderen Schneefeld bespielt, die einzige andere Arbeit unter freiem Himmel.

Die Ausstellung, die Hessler teilweise aus dem Swiss Institute in New York mitgebracht hat, das sie seit einigen Jahren leitet, umspielt das Thema Energie auf elegante Weise. Vor der Tür der "Station" in Gstaads Nachbardorf Saanen qualmt ein grober Betonzylinder vor sich hin, eine Variante der ältesten Wärmequellen der Menschen: ein Holzofen, an dem man sich niederlassen und das Hinterteil wärmen kann. 

Die Installation von Haroon Mirza dagegen nutzt moderne Solarpanels, um ein vibrierendes Etwas zu betreiben, das in einer durchsichtigen Kapsel steckt, die früher Teil eines offiziellen Sendeturms war: Es ist ein Lautsprecher, der in zufälligem Rhythmus verschiedene Frequenzen spielt, die laut Künstler unter anderem dazu geeignet sind, Alzheimer zu behandeln oder auch typische Resonanzräume von menschengemachten Steinzeithöhlen sind. 

Philosophie der Elektrizität

Man darf sich sogar auf den menschenfreundlichen Soundhocker setzen. Drinnen gibt es noch mehr Heizungen: Vibeke Mascini hat in ihrer Heimat Amsterdam Energie, die beim Verbrennen von konfisziertem Kokain entstanden ist, in einer großen Lithiumbatterie gespeichert. In der Ausstellung lässt sie diese Energie über in die Jahre gekommene Elektro-Heizelemente langsam als Wärme wieder abgeben. Hinter dem rauen, industriellen Charme der Installation stecken sehr poetische Gedanken von Zerfall und Zerstörung, die jeder Energieerzeugung zugrunde liegen – eine Philosophie der Elektrizität.

Höhepunkt der zweiten Location ist schließlich eine Filminstallation von Nina Canell und Robin Watkins. Ihr Thema ist aufgeladener Staub – ein Phänomen, das sich ihrer Meinung nach der Verkörperung von Energie zumindest annähert. Das beste Mittel, um Staub aus der Luft zu holen, sind gegenteilig aufgeladene Federn des weiblichen Straußes. Und genau diese Federn werden in den hochautomatisierten Lackieranlagen für Autos eingesetzt, um die Karosserien maximal zu entstauben. Diese surreale Begegnung von Tier und Maschine setzen Canell und Watkins ins Zentrum ihres Videos, das in einem halb abgerissenen Garagentunnel im Dorf Schönried gezeigt wird.

Das Grundthema von Elevation 1049, nämlich die ökologischen Herausforderungen der Gegenwart, hat Hessler in ihrer Ausstellung auf sehr feinsinnige Weise umgesetzt. Sie tut das an einem Ort, an dem die Gletscher schmelzen – und an dem genau das obere eine Prozent, das am meisten Ressourcen verbraucht, die Champagnerkorken knallen lässt. So feierte man am Eröffnungswochenende in dem Chalet, das dem Vater aller Jetset-Helden, Gunter Sachs, gehörte, und jetzt der Galerie Hauser & Wirth, zwischen millionenschwerer Kunst von Philip Guston, Andy Warhol und Kollegen, und wartete gespannt, ob wohl endlich jemand in den glamourösen Swimmingpool fällt. Aber mit Widersprüchen dieser Art ist der zeitgenössische Kunstbetrieb ja nun wirklich vertraut – man könnte fast sagen, er lebt von ihm wie unsere technisierte Gesellschaft von der Elektrizität.